002 - Die Angst erwacht im Todesschloss
und
wandte sich dann langsam um. Ihre fiebrig glänzenden Augen versuchten, die
rundum herrschende, absolute Dunkelheit zu durchbohren.
»Harry?«
Sie rief den Namen ihres Verlobten zum zweiten Mal, lauschte und schluckte.
Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn, und sie merkte, wie die Angst zurückkehrte.
»Harry?! Warum antwortest du mir nicht?« fragte sie heiser. »Bitte mach mir
doch nicht solche Angst ... Bitte, nicht hier! Fang' nicht an, etwas zu
verschlimmern, was ich endlich hoffe, überwunden zu haben. Gib' mir Antwort,
Harry ...« Sie machte vorsichtig zwei, drei Schritte in der Dunkelheit.
Instinktiv behielt sie die Richtung bei. Sie ging einen weiteren Schritt nach
vorn und sah die schemenhaften Umrisse der riesigen Schwerter, der Schilde und
Ritterrüstungen, erblickte auch die zahlreichen großen und kleinen
Folterinstrumente, die man im Mittelalter an unglücklichen Opfern angewendet
hatte.
Dann ging sie noch einen Schritt weiter. Da stieß ihr Fuß gegen etwas
Weiches. Sie zuckte zusammen und zog ihn sofort zurück.
Eine Krallenhand schien ihr pochendes Herz zu umfassen.
»Harry!«
Ellens Stimme überschlug sich. Wie unter hypnotischem Zwang bückte sie
sich, bis sie den Boden berührte.
Sie riss den Mund zum Schrei auf. Doch da kam kein Laut mehr über ihre
Lippen.
Sie fühlte die reglose Gestalt, die warm und schlaff am Boden lag.
»Harry!«, wisperte sie.
Fahrig tasteten ihre Hände über den reglosen Körper. Sie fühlte die
klebrige Flüssigkeit zwischen ihren Fingern, als ihre Hand auf Harrys Brust zu
liegen kam.
»Harry«, stammelte sie verzweifelt. »O Harry, nein ...«
Wie von Sinnen warf sie den Kopf in die Höhe.
War da nicht wieder ein Geräusch?
Harrys Mörder!
Er musste sich noch hier aufhalten, ohne dass jemand seine Anwesenheit in
der unterirdischen Folterkammer bemerkt hatte. Doch alles war totenstill.
Dicht neben sich sah sie eine Ritterrüstung stehen. In der gepanzerten
Rechten hielt diese Rüstung ein wuchtiges Breitschwert.
Plötzlich wurde es blitzschnell emporgehoben und sauste auf sie herab ...
●
Larry Brent war allein. Die Vermummten hatten sich durch eine Geheimtür
zurückgezogen. Zwei Kerzen waren gelöscht worden. Nur eine einzige brannte
noch. Der flackernde Lichtschein spielte auf den kahlen, schmucklosen Wänden.
Wie war er in diese fatale Situation gekommen?
Larry hatte das Gefühl, als hätten von einem bestimmten Zeitpunkt an seine
Erinnerungen ausgesetzt.
Er zermarterte sich das Hirn. Er brauchte einen einzigen Anhaltspunkt, um
seine Gedanken weiterspinnen zu können.
Und er fand ihn ... Schritt für Schritt ging er in Gedanken diesen Tag
zurück, bis ihm einfiel, dass man den 23. Oktober schrieb.
Zumindest war er am Morgen dieses Tages zu einem Intelligenztest in das
Hauptquartier der PSA beordert worden. Wie es hieß, sollten das die letzten
Formalitäten sein, ehe man ihn als PSA-Agenten vereidigte.
Larry Brent wollte kaum glauben, dass es erst ein Vierteljahr her war, seitdem
der geheimnisvolle Leiter der Psychoanalytischen Spezialabteilung auf ihn
aufmerksam geworden war und ihn vom FBI anforderte.
Der Chef des FBI hatte einen seiner fähigsten Agenten verloren, an eine
Organisation, die in ihrem Aufbau und im Einsatz ihrer Mittel einmalig in der
Welt war.
Seit mehr als acht Wochen lebte Larry Brent in New York. Vor dieser Zeit
war er in Washington gewesen. In diesen acht Wochen hatte er eine schwere und
intensive Ausbildung genossen. Schon während seiner Zeit als FBI-Agent hatte er
manches Härtetraining durchstehen müssen. Doch das, was in den Trainingsschulen
der PSA verlangt wurde, stellte alles Bisherige in den Schatten. In
konsequenten Blitzkursen brachte man ihm die notwendigsten Griffe der
modernsten und härtesten Sportarten bei. Bisher beherrschte er Judo und Karate,
doch jetzt hatte man ihn auch in Aikido und in den wohl härtesten koreanischen
Kampfsport, Taekwondo, eingeführt. Ein Gegner, der sich mit einem PSA-Agenten
anlegte, musste sich auf etwas gefasst machen.
Larry Brent fühlte, wie seine Gedanken immer wieder vom Wesentlichen
abschweiften. Es existierte ein Loch in seiner Erinnerung, das er nicht stopfen
konnte.
Dieses seltsame Vergessen! Hatte man ihm eventuell eine Droge gegeben?
Wie war das nur gewesen, heute Vormittag, als er das Hauptquartier verließ,
um in seinen Mercedes 280 SE zu steigen?
Das Gas!
Plötzlich war seine Erinnerung wieder da.
Jemand hatte Gas in sein Gesicht gesprüht ...
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