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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
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Dorfzentrum. Er bog nach rechts ab, die Straße entlang, die zum Fluß führte. Sekunden später erreichte er die Kirche.
    Er hatte das unerklärliche Empfinden, diesen Ort möglichst schnell hinter sich lassen zu müssen. Es schien, als bedrohte ihn der hohe Turm, der sich düster vor dem Mondlicht reckte…
    Klatschender Flügelschlag war plötzlich zu hören. Dann nur noch ein feines Rauschen. Robert hob erschrocken den Kopf.
    Ein Schatten schwebte vom Kirchturm herab auf ihn zu. Im nächsten Moment ließ die Eule ihren hohlen Ruf hören, als sie den dahinhastenden Mann umkreiste. Für ihn war es ein bösartiger Schatten, der dicht über ihm schwebte und nicht von ihm weichen wollte.
    »Verschwinde!« brüllte er, ohne seine Schritte zu stoppen. »Aus dem Weg!« Er schlug mit den Händen um sich. Schweißtropfen traten auf seine Stirn, obwohl der Nachtwind eisig war.
    Wieder klatschten die Flügel, wieder erscholl der hohle Ruf des Nachtvogels.
    Robert stieß einen lästerlichen Fluch aus. Er wollte stehen bleiben, einen Stein suchen, um das elende Vieh zu verscheuchen.
    Doch unvermittelt erscholl wieder die weithallende Stimme vom Fluß – jedenfalls hatte Robert nach wie vor den Eindruck, daß die Worte vom jenseitigen Ufer der Rhône kamen. Es waren die gleichen Worte wie vorhin.
    Diesmal hatten sie eine überraschende Wirkung.
    Als Robert etwa fünfzig Schritte von der Kirche entfernt war, flatterte die Eule mit einem enttäuschten, fast mitleidigen Laut davon.
    Es schien, als wäre sie durch die geisterhafte Stimme vertrieben worden.
    Robert atmete auf. Er erreichte das freie Gelände, das sich auf etwa zweihundert bis dreihundert Meter Breite zwischen dem Dorf und der Rhône erstreckte. Die Hochwasserzone, die ausschließlich als Weideland genutzt wurde.
    Das Kopfsteinpflaster endete. Roberts Stiefelsohlen schmatzten im Schlamm der tiefen Wegfurchen. Dreck spritzte unter seinen schweren Schritten nach beiden Seiten. Der Wind wühlte unter seine offene Jacke und ließ die Aufschläge hinter seinem Rücken emporflattern.
    Endlich erreichte er die Uferböschung der Rhône. Die Fähre lag an ihrem Platz, ordnungsgemäß vertäut.
    »Ich komme!« rief Robert aus Leibeskräften, wedelte mit den Armen und legte auf den letzten Metern einen Endspurt ein.
    Denn überdeutlich erkannte er am jenseitigen Ufer eine Silhouette.
    Die Umrisse eines Menschen. Es war hell genug, um das erkennen zu können. Robert bemerkte nicht, daß diese Helligkeit keineswegs nur vom Mondlicht stammte.
    Hastig löste er die Leinen. Dumpf polterten seine Schritte über die Bohlen der Fähre. Er legte die Steuerungshebel herum, und das schwere Wasserfahrzeug wurde von der Strömung erfaßt. Die armdicken Drahtseile, weiter stromauf verankert, hielten die Fähre auf Kurs.
    Viel zu langsam, so erschien es Robert, näherte er sich der Flußmitte.
    »Ich komme schon!« rief er noch einmal und winkte der Gestalt zu.
    Fast im gleichen Atemzug erstarrte er.
    Da war niemand mehr zu sehen.
    Ungläubig rieb sich Robert Levin die Augen, riß sie dann weit auf und spähte zum Ostufer hinüber.
    Nichts. Auch die Stimme erscholl nicht mehr.
    Doch Robert kam nicht dazu, darüber nachzudenken.
    Jäh kam die Fähre zum Stillstand – abrupt, als sei sie gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Um ein Haar verlor Robert das Gleichgewicht. Im letzten Moment konnte er sich am Seitengeländer festhalten.
    Und dann erschrak er bis ins Mark, als er den Lichtpunkt in den Fluten erblickte. Der Punkt vergrößerte sich rasend schnell, wuchs zu gleißender Helligkeit an, die die Fähre umgab.
    Robert erkannte in diesem Moment die furchtbare Wahrheit. Die geheimnisvolle Macht war von ihm gewichen. Sein Verstand funktionierte wieder. Denn so hatten es die Mächte der Finsternis beabsichtigt, um ihn die Angst in vollem Maße spüren zu lassen.
    Aber obwohl seine Gedanken arbeiteten, war er nicht in der Lage, sich zu bewegen. Seine Muskeln gehorchten nicht den Befehlen, die er ihnen verzweifelt zu geben versuchte. Doch was sollte er überhaupt tun? Er saß in der Falle. O verdammt, die hatten ihn in eine Falle gelockt! Wie ein Narr war er darauf hereingefallen. Und nun war es zu spät.
    Aus.
    Von der Fähre kam er nicht weg.
    Roberts Augen weiteten sich. Die Gestalt formte sich vor der Rampe der Fähre, schien aus der gleißenden Helligkeit aufzutauchen und sich unmittelbar darüber zu materialisieren. Das Schwert reichte dem Wesen fast bis zur Brust, über der sich ein

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