Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
Vom Netzwerk:
die um einen Hügel herumführte, tauchten die ersten Häuser im Blickfeld der beiden Freunde auf. Es handelte sich um Gehöfte, die scheinbar wahllos verteilt in die grüne Hügellandschaft eingebettet waren. Menschen waren nicht zu sehen. An diesem frühen Sonntagmorgen bereiteten sich die Leute von Soranges auf den Kirchgang vor.
    Schnurgerade führte die Straße auf den Ort zu. Die Bebauung verdichtete sich rasch, und wie es schien, entstammte Soranges noch jener mittelalterlichen Siedlungsform, nach der sich die Häuser ringförmig um einen zentralen Platz gruppierten. Vor einem der ersten Fachwerkhäuser an der rechten Straßenseite stand ein verwittertes Holzschild, dessen Aufschrift ›Soranges‹ nur noch mit Mühe zu entziffern war.
    Professor Zamorra verlangsamte das Tempo. Bill Fleming und er ließen sich Zeit, die wuchtigen bäuerlichen Häuser und die wenigen kleinen Läden und Werkstätten ausgiebig zu betrachten. Aber auch hier ließ sich keine Menschenseele blicken. Soranges wirkte wie ausgestorben.
    Das Zentrum des Dorfes bestand überwiegend aus der Straßenkreuzung. Von dem früheren Marktplatz waren nur noch gepflasterte Flächen vorhanden, die sich an den Gebäuden rings um die Kreuzung entlangzogen. Die asphaltierte Durchgangsroute führte weiter nach Südosten.
    Zamorra trat auf die Bremse. Nach links zweigte eine schmale, mit Kopfsteinen gepflasterte Straße ab. Auf der gegenüberliegenden Seite war an einer Scheunenwand ein Wegweiser befestigt. Die Lettern waren ungelenk mit Lackfarbe gemalt und wiesen darauf hin, daß dieser Weg zur Rhône-Fähre führte.
    Aus einem Impuls heraus zog Zamorra die Limousine nach links.
    »Wir werden uns erst einmal diese Fähre ansehen«, entschied er, »danach suchen wir den Mann auf, der mir den Brief geschrieben hat.«
    Bill Fleming seufzte.
    »Allmählich glaube ich, du hast den Sinn für Gemütlichkeit verloren. Ich freue mich seit Stunden auf eine behagliche Bauernstube, auf einen kräftigen Kaffee mit einem Schinkenbrot dazu… und dich zieht es bei diesem trüben Wetter ausgerechnet an den Fluß.«
    Zamorra antwortete nicht. Seine Gedanken standen unter einem geheimnisvollen Bann, der sich jetzt zunehmend verstärkte, je näher sie dem Fluß kamen. Sie fuhren an der Kirche vorbei, deren Mauern aus mächtigen Quadersteinen bestanden. Zamorra spürte nun überdeutlich jene düsteren Drohungen aus dem Unterbewußtsein, die er schon während der nächtlichen Zugfahrt empfunden hatte.
    Sie erreichten den östlichen Ortsrand. Das Kopfsteinpflaster endete in einem schlammigen, von Wagenspuren zerfurchten Weg. Zamorra schaltete in den zweiten Gang.
    Sekunden später sah er seine Ahnung bestätigt.
    Bill Fleming beugte sich überrascht vor.
    Eine Kette von Menschen säumte die Uferböschung, bewegungslos, in dunkle Regenmäntel gekleidet, die vor Feuchtigkeit glitzerten. Der Fluß und die Fähre waren noch nicht zu sehen. Doch es schien eindeutig, daß dort etwas geschehen sein mußte, was die Dorfbewohner in stummer Fassungslosigkeit erstarren ließ.
    Professor Zamorra bezwang seine innere Anspannung. Geschickt lenkte er den Peugeot über den unebenen Weg. Die schwere Limousine ächzte in der Federung.
    Niemand drehte sich um, als der Wagen herannahte. Auch dann nicht, als Zamorra und Bill Fleming ausstiegen und sich der schweigenden Menschenmenge näherten. Auf dem weichen Gras der Uferböschung gingen sie an den Leuten vorbei, bis sie freie Sicht hatten.
    Bill Fleming packte erschrocken Zamorras Unterarm. Die Fähre lag am diesseitigen Ufer vertäut. Zwei Männer, in hüfthohen Gummistiefeln und mit Ölzeug bekleidet, wateten in das seichte Wasser auf der Seite der Fähre, die der Strömung abgewandt war. Einer von ihnen packte ein Tau, das straff gespannt in der Strömung hing. Der zweite Mann trug eine Holzstange, an deren Ende sich ein stählerner Haken befand.
    Die Blicke von Zamorra und Bill Fleming wanderten an dem Tau entlang. Deutlich erkannten sie das dunkle, längliche Bündel, das am Ende des Taues in den Fluten pendelte. Und sie wußten im gleichen Moment den Sinn des zweirädrigen Karrens zu deuten, der am Ufer wartete. Ein großer, knochiger Ochse stand mit träge hängendem Schädel in der Deichsel.
    Der Mann, der fast das flußseitige Ende der Fähre erreicht hatte, packte nun das Tau mit beiden Händen und watete zurück zum Ufer. Es kostete ihn erheblichen Kraftaufwand, denn die Strömung der Rhône war in dieser regenreichen Jahreszeit

Weitere Kostenlose Bücher