0029 - Ich, das Gift und Mister X
zu behandeln. Für unseren Fall war es nicht sehr wichtig, denn es schilderte uns zwar seinen Weg nach unten, aber es gab uns keine Antwort auf die Frage, wie Trowe darauf gekommen war, nach New York zu gehen und auf welche Art er die Verbindung zum Schmugglerring bekommen hatte.
»War er in Chicago auch schon süchtig?«, fragte ich.
Phil brauchte eine ganze Weile, um antworten zu können, aber sein Suchen nach einem entsprechenden Vermerk war vergeblich.
»Das heißt also praktisch, dass er hier erst damit angefangen hat«, schloss ich. »Wenn man bloß wüsste, wie er zu den Leuten von der Organisation kam? Irgendeine Verbindung muss er doch schon vorher gehabt haben! So höllisch vorsichtig, wie diese Burschen sind, kann…«
»Wie wäre es mit Poker-Di, Jerry?«, hakte Phil da ein.
Hallo, das war wirklich keine dumme Idee. In New Jersey, ganz in der Nähe des Hudson-River, gab es einen Mann, der Dwight Orlesville hieß, von seinen Freunden und Bekannten aber nur Poker-Di gerufen worden war. Wie der Spitzname schon verriet, hatte Orlesville eine große Leidenschaft… er pokerte manchmal nächtelang. Poker-Di wohnte in New Jersey und war wie Trowe aus Chicago gekommen. Hier in New York lebte er als angeblich solider Bürger zwischen wirklich soliden Bürgern, besaß wie sie eine elegante Villa und ließ sich nicht anmerken, dass er praktisch nur ein Gangster war, der sich zur Ruhe gesetzt hatte.
Poker-Di war einer von den Leuten, die es verstehen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, ihre Strafen abzubüßen und zur rechten Zeit auszusteigen. Bei irgendeiner Gelegenheit hatten Phil und ich ihn kennengelernt und danach ein paar Mal mit ihm gepokert. Da Poker-Di im Übrigen ein gesetzestreues Dasein führte, hatten wir sonst nie etwas mit ihm zu tun gehabt.
Aber Phil hatte natürlich recht: Warum sollten wir die Bekanntschaft nicht ausnutzen, und warum sollte uns der Ruhestandsgangster in New Jersey nicht etwas über Jones Trowe erzählen können?
»Schließ also den Krempel weg und komm!«, sagte ich, indem ich meinen Hut vom Haken fischte.
»Poker-Di?«
»Poker-Di!«, wiederholte ich. »Kann ja sein, dass er wirklich was weiß. Wir fahren jedenfalls mal rüber zu ihm!«
***
Auf der 14. Straße rasten wir mit meinem Jaguar über die Hudson-Bridge nach New Jersey, bogen gleich hinter der Brücke scharf nach rechts ab und bremsten knappe fünf Minuten später vor der Villa, in der Poker-Di seinen Lebensabend verbrachte.
Wenn ich sage, Lebensabend, dann ist darunter absolut nicht der Abschnitt des Daseins zu verstehen, den der Durchschnittsbürger mit dieser Bezeichnung meint. Gangsterbosse sind keine Durchschnittsbürger, und Dwight Orlesville war damals gerade 50 Jahre alt. Aber wie gesagt, Gangster darf man nicht mit gewöhnlichen Zeitgenossen vergleichen. Die meisten von ihnen werden nicht älter als 40, und wenigstens in dieser Beziehung haben sie etwas mit uns G-men gemeinsam.
Dass Poker-Di diese kritische Grenze überschritten und es sogar verstanden hatte, sich zur Ruhe zu setzen, verrät schon, dass er ziemlich schlau war.
»Wie ein simpler Rentner«, sagte Phil, als wir vor der Villa hielten und aus dem Jaguar kletterten.
»Bis auf den Luxus, ja«, murmelte ich, obwohl ich genau wusste, was mein Freund gemeint hatte.
Leute die etwas zu fürchten haben, verbergen sich meistens unter falschem Namen. Sie halten sich eine Leibgarde, fahren kugelsichere Limousinen, bewegen sich in der Öffentlichkeit nur auf verkehrsreichen Straßen und wechseln häufig ihre Wohnungen. Freunde haben sie selten, gesellschaftliche Bindungen ebenso wenig.
Ich zweifelte nicht daran, dass auch Dwight Orlsville allerhand zu fürchten hatte, denn dafür war er schließlich Gangsterboss gewesen. Aber es spricht für seine Intelligenz, dass er auf die üblichen Sicherheitsmaßnahmen verzichtete. Poker-Di wusste genau, dass diese ganzen Mätzchen seine Gegner vielleicht erst auf ihn aufmerksam machen würde. Er wusste auch, dass man ihn so oder so fand und erledigen konnte, wenn man es darauf anlegte. Deshalb stand auch auf dem Schild an seiner Tür ganz richtig D. Orlesville, und kein Mensch der Umgebung wäre auf den Gedanken gekommen, dass der Bewohner dieser Villa mit dem mehr berüchtigten als berühmten Gangsterchef des gleichen Namens identisch sein könnte. Poker-Di hielt sich keine Bewacher und fuhr einen einfachen, aber enorm teuren Packard. Er aß häufig allein in irgendeinem pikfeinen Lokal in der City,
Weitere Kostenlose Bücher