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003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alphonse Brutsche
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hat?« sagte Martin. »Ich habe ja auch bemerkt, dass er neulich mit jemandem gesprochen hat, aber eigentlich hat es sich eher wie ein Streit angehört.«
    »Liebespaare streiten doch auch«, erklärte der Metzger und schnitt sorgsam ein Schnitzel ab.
    Die Glocke der Ladentür ertönte.
    »Wenn man den Wolf nennt«, murmelte der Metzger. Er wandte sich lächelnd seinem Kunden zu. »Nun, Herr Merlin, was soll’s denn sein? Zwei Schweinskoteletts«, erwiderte Pierre Merlin mit matter Stimme.
     

     
    Im grellen Licht der Deckenbeleuchtung saß die Familie in der Küche beim Abendessen. Es schien eine ganz gewöhnliche Familie zu sein: Der Vater mit schütterem. Haar und schmalem, bleichem Gesicht, die Mutter, ebenfalls sehr blass, mit früh ergrautem Haar, der vierjährige Junge, bleich und mit tief in den Höhlen liegenden Augen.
    Alle schwiegen. Man hörte nur das Klappern der Gabeln auf den Tellern, das Knirschen der Messer und das gedämpfte, malmende Geräusch, mit dem die Kiefer Fleisch und Kartoffeln zerkleinerten. Ab und zu wurde Wasser gluckernd in ein Glas gegossen, und ein Stuhl knarrte unter dem Gewicht eines Körpers.
    Frau und Kind ließen es sich mit gutem Appetit schmecken. Ihre Bewegungen hatten jedoch etwas Ungeübtes und Ungelenkes. Die Hände, die vor Blässe fast durchscheinend waren, hoben und senkten sich in gleichmäßigern Rhythmus von und zu den Tellern, und die Zähne kauten gleichmäßig wie Maschinen. Die Haut ihrer Gesichter war ebenfalls fast durchsichtig vor Blässe und spannte sich fleischlos über den Knochen. Man hätte die Züge von Mutter und Sohn fast für Gesichter aus Plastik halten können, die über eine Unterlage von Pappe gezogen waren, so leblos wirkten sie. Die Augen, sonst die Fenster zur Seele, wirkten erloschen. Nur selten richtete eine der bleichen Masken den ausdruckslosen Blick auf den Vater. Dann schauderte dieser und schlug rasch die Augen nieder.
    Der Vater aß kaum etwas. Er zerschnitt das Fleisch in kleine Stückchen, die er auf seinem Teller umher schob, und führte nur selten eine Gabel zum Mund. Stattdessen trank er sehr viel, als verbrenne er innerlich und müsse diesen Brand durch große Gläser Flüssigkeit löschen.
    Auch der Nachtisch wurde verspeist, ohne dass ein Wort fiel. Dann stand die Frau auf und räumte den Tisch ab. Sie ließ heißes Wasser in eine Schüssel laufen, um abzuwaschen. Der Vater sah ihr dabei zu, und in seinem Blick war heimliches Entsetzen zu lesen.
    Auch beim Abwaschen waren die Gesten der Frau ungelenk und automatisch wie die eines Roboters. Es schien fast, als sei ihr Körper lange Zeit starr gewesen und habe seine alte Geschmeidigkeit noch nicht wiedererlangt. Als das Geschirr abgetrocknet und weggeräumt war, wandte sich die Mutter dem Vater zu, der ihr bei der Arbeit zugesehen hatte.
    Mit ungelenkem Gang trat sie zum Tisch und setzte sich. Dann hob sie die Arme ihrem Sohn entgegen.
    Der magere Junge stand auf und trat zu ihr. Er drückte sich an seine Mutter, die ihm über das Haar strich. Auch das tat sie mit Bewegungen, deren starre Regelmäßigkeit eher einer Maschine als einem Menschen zu gehören schienen.
    Dann öffnete sie den Mund. Sie schien sprechen zu wollen, aber es kam kein Wort über ihre Lippen. Doch das Kind schien die lautlosen Worte zu verstehen und lächelte. Es drückte den bleichen Kopf an die eingefallene Brust der Mutter, und seine Miene strahlte Zufriedenheit und Geborgenheit aus.
    Auch der Vater vernahm jetzt das unhörbare Lied, das die Mutter dem Kind vorsang. Er las es ihr von den Lippen ab. Oft genug hatte er es früher gehört. Früher … wenn Christine es ihrem Sohn vor dem Einschlafen mit ihrer hellen, klaren Stimme vorgesungen hatte:
     
         »Guten Abend, gute Nacht,
    mit Rosen bedacht,
    mit Nelklein besteckt,
    schlupf unter die Deck …«

    Offensichtlich hatte sich irgendetwas in der Kehle der Frau, die aus dem Totenreich zurückgekehrt war, nicht wieder gebildet. Das Gespenst, das die Gesten einer Lebenden hatte oder sie zumindest nachahmte, hatte die Sprache nicht wieder gefunden. Das Gedächtnis funktionierte, aber die Worte waren verloren, und alle Gesten hatten die Ungelenkigkeit eines Wesens, das ein Jahr lang starr in der Erde gelegen hatte.
    Pierre Merlin war sein Herzenswunsch erfüllt worden. Er hatte geglaubt, die Rückkehr seiner Frau würde für ihn das Paradies auf Erden sein. Doch als dieser Traum sich realisierte, wurde er zur Hölle.
    Seit drei Tagen war Christine

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