0030 - Hexentanz
näherte sich dem Mädchen mit angespannter Miene. Er schwitzte. Er liebte das Mädchen genauso wie alle ändern im Haus. Er kannte sie, seit sie auf der Welt war.
Für ihn, der selbst keine Kinder hatte, war sie beinahe eine Tochter. Er hatte früher oft mit ihr gespielt, gescherzt und gelacht.
Dieses Mädchen durfte sich nicht in den Tod stürzen.
»Miss Ann!« stieß der Butler heiser hervor. Als sie sechzehn geworden war, hatte er aufgehört, sie zu duzen. »Miss Ann, Sie dürfen nicht springen. Ihr Vater hat recht. Es gibt nichts, dessentwegen Sie sich das Leben nehmen müßten. Nehmen Sie bitte Vernunft an. Bitte! Wir alle wollen Sie nicht verlieren. Wir mögen Sie sehr. Wir hängen an Ihnen!«
Schritt um Schritt tastete sich der Butler näher an das Mädchen heran.
Ann beachtete ihn nicht. Er war für sie nicht vorhanden. James’ Herz schlug wild gegen die Rippen. Er grub seine Zähne in die Unterlippe und streckte vorsichtig die Arme nach dem Mädchen aus.
Der Himmel mußte ihm noch ein paar Sekunden schenken, dann konnte er es schaffen. Zwei Meter war er von Ann noch entfernt. Sollte er sie bei den Schultern packen und zurückreißen? Oder sollte er seine Arme um ihre Mitte schlingen?
Er lief Gefahr, daß sie ihn mit in den Tod riß, doch daran dachte der Butler nicht. Er war bereit, für dieses Mädchen alles zu tun. Wirklich alles.
Kein Wagnis war ihm zu hoch.
Ann schwankte immer stärker. »Oxoran, ich liebe dich!« kreischte sie. Ihre Stimme hatte sich verändert. Sie hatte einen gemeinen, ordinären Klang angenommen.
Ein Meter nur noch…
James atmete heftig. Er glaubte, das Mädchen noch retten zu können. Sie schien nicht Herr ihrer Sinne zu sein. Ihr Geist war verwirrt.
Wichtig war jetzt nur, daß es ihr nicht gelang, in die Tiefe zu springen. Der Butler machte den letzten Schritt. In dem Augenblick, als seine Arme vorschnellten, ließ sich das Mädchen fallen.
Ann kippte wie eine Schaufensterpuppe über den Rand des Daches.
»Neiiin!« schrie ihr entsetzter Vater, der den Todessturz mit ansehen mußte.
James blickte dem fallenden Mädchen aus geweiteten Augen nach.
Amanda Rogan, der Chauffeur und die Köchin schleppten gerade Matratzen aus dem Haus. Zu spät. Ann stürzte vor ihren Füßen zu Boden und war auf der Stelle tot.
Ein rätselhaftes Lächeln blieb auf ihrem erstarrten Gesicht…
***
Ich schlug mit der Faust an die Tür. Suko, mein Freund und Kampfgefährte, öffnete sofort. Der hünenhafte Chinese war ein ebenso erklärter Feind aller Dämonen wie ich.
Es war für jeden angeraten, sich vor seinen mächtigen Karatefäusten in acht zu nehmen. Normalerweise war Suko äußerst gutmütig. Ihn konnte so schnell niemand aus der Fassung bringen, aber wenn es einem gelang, war er nur zu bedauern.
Wir wohnten nebeneinander im selben Apartment-Hochhaus, deshalb fragte mich Suko: »Was kann ich für dich tun, Nachbar? Ist dir das Salz oder der Zucker ausgegangen?«
»Weder noch«, erwiderte ich. »Ich wollte nur fragen, ob du mit mir nach Montreal fliegen möchtest.«
Suko strahlte vom Mittelscheitel bis zum Kinn. »Aber immer. Was haben wir in Kanada zu tun, Partner?«
»Das kann ich dir noch nicht ganz genau sagen. Wie lange brauchst du zum Packen?«
»Wenn ich auf die lange Unaussprechliche verzichte, bin ich in zehn Minuten fix und fertig.«
»Also bis dann«, sagte ich und begab mich nach nebenan.
Suko war in acht Minuten startklar. Ich holte meinen Einsatzkoffer aus dem Schrank und öffnete ihn. Da lagen eingebettet in blutrotem Samt eine Eichenbolzen verschießende Luftdruckpistole, die ich bereits einige Male mit Erfolg gegen Vampire eingesetzt hatte, ein geweihter silberner Dolch, dessen Griff die Form eines Kreuzes hatte und mit Symbolen der Weißen Magie versehen war, magische Kreide, eine Gnostische Gemme und – und – und…
Der Koffer war mit einem Sicherheitsschloss versehen.
Machte sich ein Unbefugter daran zu schaffen, strömte aus einer verborgenen Düse ein betäubendes Gas aus.
Auch diese Vorsichtigkeitsmaßnahme hatte sich bereits bestens bewährt.
Wir verließen meine Wohnung. Mein Bentley und Sukos Harley Davidson blieben in der Tiefgarage. Ein Taxi brachte uns zum Airport. Während der Fahrt erzählte ich meinem Freund von Waldo Tarum und dessen Anruf.
Ich war froh, daß der Chinese wieder mit von der Partie war. Er vermittelte mir mit seinen Bärenkräften ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit. Außerdem konnte ich mich auf meinen Partner
Weitere Kostenlose Bücher