0034 - Dracula gibt sich die Ehre
in die Richtung, doch sie konnte beim besten Willen nichts erkennen. Dicht und schwarz wie Tinte lag dort die Dunkelheit. Die nächste Gartenlaterne stand zu weit entfernt, als daß ihr Schein die Buschgruppe erreicht hätte.
Polly nagte auf der Unterlippe. Sie war ein energisches Mädchen und hätte normalerweise nachgeschaut, aber in diesem Fall dachte sie an den kleinen John, den sie allein im Haus zurücklassen mußte.
Und das Baby hatte Vorrang.
Polly ging wieder zurück in den Bungalow, drückte die Tür zu und vergewisserte sich noch einmal, daß sie fest verschlossen war. Mit den Platten ging sie in den Livingroom. Dort stand Bills HiFi-Anlage. Sie war eine Wucht, und mancher Tonmeister hätte an ihr seine Freude gehabt. Polly freute sich auf die Musik. Endlich konnte sie Frank Zappa optimal von der Schallplatte hören. Sie hatte zwar schon einige Konzerte von ihm besucht, aber auf ihrer miesen Stereoanlage brachten die Scheiben nichts.
Polly kannte sich mit HiFi-Anlagen aus. Sie ließ sich nicht von den zahlreichen Skalen und Hebeln irritieren, sondern legte die Platte auf und gab Saft, wie sie immer so schön sagte. Dann dröhnte der Zappa-Sound im Zimmer. Hastig drehte Polly leiser. Fehlte noch, daß der Kleine aufwachte, dann konnte sie sich ihren Zappa in den Schornstein schreiben. Johnny war davon bestimmt nicht begeistert. Die Anlage war so gut, daß sie auch noch bei geringer Lautstärke optimale Leistung brachte. Polly ließ sich in einen modernen Ledersessel fallen, legte die Beine hoch, schloß die Augen und ergab sich ganz der Musik. Irgendwie beneidete sie die Leute, die sich alles leisten konnten, während sie sich als Studentin mehr schlecht als recht durchs Leben schlug. Doch die anderen hatten sicherlich auch Sorgen, und Polly hoffte, sich in ein, zwei Jahren etwas mehr leisten zu können.
Jetzt aber zählte nur noch Frank Zappa. Am liebsten hätte sie sich die Kopfhörer übergestreift, doch dann hörte sie nicht, wenn sich das Kind meldete.
Aber auch so war Polly high. Sie vergaß ihre Umgebung und sah deshalb nicht die beiden Gestalten, die durch den Vorgarten der Conollys schlichen.
Vorhin, als Polly draußen gewesen war, hatte sie sich in der Tat nicht getäuscht. Hinter dem Busch befand sich jemand. Er bildete die Vorhut. Als Polly im Haus verschwunden war, winkte er seinen Kumpan herbei, um mit ihm gemeinsam in das Haus einzudringen. Sie hatten einen bestimmten Auftrag zu erledigen.
Und sie waren Vampire!
Sie gehörten nicht zum Ceprac-Clan, sondern zur Mortimer-Familie, der größten Vampirfamilie auf der Insel. Kalurac hatte sich ihrer Treue versichert.
Es waren hagere Gestalten mit grauen, strähnigen Haaren, eingefallenen Wangen, rissiger Haut und Leichenflecken im Gesicht. Man sah ihnen an, daß sie sich meist in finsteren Grüften aufhielten, wo Spinnen und andere Kriechtiere ihre Begleiter waren. Und sie waren noch reine Nachtgeschöpfe. Sonnenlicht war für sie tödlich!
Aus dem Dunkel der Büsche tauchten sie auf und näherten sich dem Livingroom.
Sie wollten über die Terrasse ins Haus eindringen, um ihren Auftrag durchzuführen.
Die beiden konnten in den hellen Livingroom hineinschauen, während sie selbst im Dunkeln standen und aus dem Innern des Hauses nicht gesehen wurden.
Etwa eine halbe Minute beobachteten sie das Mädchen, wie es im Sessel lag und der Musik lauschte. Bald würde die Kleine nicht einmal mehr ihren eigenen Herzschlag hören…
Die Vampire rechneten damit, auf eine Alarmanlage zu stoßen. Es konnte aber auch sein, daß sie nicht eingeschaltet war, da sich jemand im Haus befand. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Sie schlichen zur Terrassentür. Lautlos wie zwei Schatten. Niemand sah sie, niemand hielt sie auf.
Dann standen sie vor der Tür, schauten sich an, lächelten teuflisch, und im nächsten Moment hob der erste Vampir die Faust. Mit ungeheurer Kraft und einem hammerartigen Schlag fetzte er die Scheibe aus dem Rahmen. Es gab einen lauten Knall, als das Thermopaneglas zu Bruch ging, und dann sahen die beiden Untoten für Sekunden nur noch einen gewaltigen Splitterregen, der in den Livingroom hineinfegte.
Polly wurde völlig überrascht. Sie hatte der Musik gelauscht und an nichts Böses gedacht. Der Schrecken traf sie um so schlimmer. Mit einem gellenden Schrei fuhr sie aus dem Sessel hoch. Da standen die beiden Todesboten längst im Raum. Morbide Gestalten, die von der Kraft der Hölle geleitet wurden. Polly glaubte, einen
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