0035 - Die Vampirfalle
wußten längst, was los war. Bill sprang aus seinem Sessel hoch.
»Und?« Sein Gesicht war verzerrt. In seinen Augen leuchteten Hoffnung und Verzweiflung zugleich.
Ich drückte Bill zur Seite und zündete mir eine Zigarette an. »Er hat mir soeben den Treffpunkt genannt.«
Bill zog mich an der Schulter zurück. »Wo?«
»Das sage ich dir nicht.«
»Du mußt es aber, John!« schrie er. »Du mußt es!«
Ich schrie zurück. »Willst du das Leben deiner Frau und deines Sohnes aufs Spiel setzen?«
Bill wurde blaß. Noch nie hatte ich ihn so angeschrieen. Er schaute mich mit einem Blick an, den ich nie vergessen werde. »Himmel, John«, flüsterte Jane.
Ich wischte mir über die Stirn. Verdammt, auch ich war nervös. Die Ereignisse der letzten Tage harten bei mir ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen. »Entschuldige, Bill«, sagte ich.
»Schon gut, John. Ich weiß, wie dir zumute ist. Ich an deiner Stelle würde auch nicht anders handeln.« Ich schlug meinem Freund auf die Schulter und ging, mich anzukleiden.
An der Tür holte mich Janes Stimme ein. »Wann sollst du fahren, John?«
Ich lehnte mich gegen das Holzfutter und warf Jane einen schrägen Blick zu. »Um sechzehn Uhr.«
»Bis dahin ist noch Zeit.«
»Sicher. Aber was meinst du damit?«
Jane strich mit ihrem Zeigefinger über den schmalen Nasenrücken. »Wir sollten den Fall gemeinsam noch einmal durchgehen. Vielleicht haben wir etwas übersehen oder finden eine andere Lösung.«
»Glaubst du an den Weihnachtsmann?« Sie lächelte. »Manchmal schon.«
»Ich aber nicht.«
***
»Schlachtfest, Freunde, Schlachtfest«, sagte der alte Mike Farrow und schleuderte das schwere Messer mit einer artistischen Bewegung hoch, um es sicher am Griff wieder aufzufangen. Im Türrechteck des Hühnerstalls blieb er stehen und ließ seinen Blick über die Verschlage gleiten. Mike Farrow züchtete Hühner. Obwohl er mit den Tieren groß geworden war, hatte er im Laufe der Zeit einen makabren Humor entwickelt, wenn es darum ging, einem Huhn den Kopf abzuschlagen, um eine gute Suppe oder einen knusprigen Braten zu bekommen.
»Ja, wen nehmen wir denn da?« murmelte er und ließ seine Blicke durch die Maschendrahtgitter wandern. Die Hühner schienen zu merken, was auf sie zukam. Aufgeregt flatterten sie in ihren engen Gefängnissen hin und her. Dann hatte Farrow gefunden, was er suchte. Ganz links in dem Verschlag hockten zwei besonders fette Hühner. Sie waren sogar zu träge, um wild herumzuflattern. »Ihr seid dran«, sagte Farrow.
Er hatte Routine im Schlachten. Die Leute holten ihn immer, wenn sie etwas zu schlachten hatten, und für eine Flasche Brandy besorgte Mike Farrow diese Sache fachgerecht. Er betrieb einen kleinen Hof, züchtete Hühner und hatte die Scheune als Gaststätte umgebaut. Außerdem vermietete er Zimmer. Sie waren zwar klein und lagen unter dem Dach, aber für Studenten, die durch England trampten und wenig bezahlen konnten, war dieser Gasthof ideal. Es hatte sich herumgesprochen, daß man bei Mike Farrow billig wohnen konnte und auch ein hervorragendes Essen bekam. Richtige Hausmannskost. Farrows Frau stammte aus Germany, dort hatte sie gut Kochen gelernt.
Auch jetzt war Farrow nicht allein. Zwei Pärchen hatten sich bei ihm einquartiert. Junge Leute, die eine Horror-Tour durch England machen wollten und in Burgen oder alten Schlössern übernachteten. Diese Horror-Touren waren in den letzten Jahren zu einem Volltreffer geworden. Immer mehr Menschen gönnten sich das Gruselvergnügen. Clevere Reiseveranstalter hatten sogar Wegstrecken ausgearbeitet und garantierten für Geister und Gespenster. Letztere wurden dann von dem Reiseveranstalter bezahlt.
Sensationslüsterne Menschen buchten diese Reisen, und oft waren Frauen in der Überzahl.
Aber es gab auch Reisende, die alte Schlösser und Burgen auf nicht vorgezeichneten Wegen abklapperten. Dazu gehörten die vier Gäste, die Mike Farrow im Augenblick beherbergte. Eine Nacht hatten sie bereits in seinem Gasthaus verbracht, doch es hatte ihnen so gefallen und vor allen Dingen so gut geschmeckt, daß sie auf eine Weiterfahrt pfiffen und noch eine Übernachtung dranhängen wollten.
Mike Farrow hatte nichts dagegen. Er freute sich immer, wenn es den Leuten gefiel, und für seine Frau konnte es kein schöneres Kompliment geben.
»Und da sagt man immer, junge Leute leben nur von Hamburgern und kennen die gute Hausmannskost nicht«, brummte er, als er den Holzriegel der Verschlagtür
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