0036 - Das Rätsel von Schloß Montagne
durch einen Wehrgang mit dem ehemaligen Vorratshaus verbunden. Zwar hatte einer der Montagne-Vorfahren die Schießscharten der Brustwehr in normale Fenster verwandeln lassen, aber für Nicoles Geschmack war der Wehrgang noch immer unwohnlich und vor allem viel zu lang. Zamorra ging mit großen Schritten vor ihr her.
»Nun warten Sie doch…« keuchte Nicole.
Plötzlich blieb sie stehen.
War das eigentlich Zamorra, der vor ihr herging? Er hatte so hölzerne Bewegungen!
Ihr Herz jagte.
Und jetzt… es war, als müßte ihr Atem aussetzen – drehte sich der Mann vor ihr um.
Nicole schrie auf.
Der Mann trug zwar den frisch gebügelten Glencheck-Anzug ihres Chefs, aber das grinsende Totengesicht, das sie jetzt anbleckte, ließ ihr das Blut in den Adern erstarren.
Zur Sicherheit schloß Nicole die Augen, um den Spuk zu vertreiben.
Als sie endlich wieder den Mut faßte und die Augen wieder öffnete, war der Fremde verschwunden.
»Da können sich einem doch wirklich die Haare sträuben«, murmelte Nicole und atmete langsam aus. Hatte sie vielleicht nur eine Fata Morgana gehabt?
Wäre kein Wunder, dachte Nicole. Ich muß ja für einen Gelehrten schreiben, der sich mit Parapsychologie befaßt. Der Chef zieht solche Geister ja direkt magisch an.
Das ist alles nur deine eigene Schuld, Nicole Duval, sagte sie sich.
Du wärst besser Sekretärin bei irgend einem Bonzen geworden!
Endlich trat sie vom ehemaligen Vorratshaus auf den Schloßhof.
Und sie merkte sofort, daß etwas passiert war. Vier Bauarbeiter standen um Professor Zamorra herum und redeten auf ihn ein.
Nicoles mißtrauischer Blick streifte Zamorras Gesicht. Nein, jetzt war wieder alles in Ordnung. Das war wirklich ihr Chef und kein Knochengerippe in einem Glencheck-Anzug.
Aber was war eigentlich passiert?
Sie trat näher.
»Der Vorarbeiter ist schon losgelaufen, um die Feuerwehr zu holen«, sagte einer der Männer bedächtig. »Hat denn kein Statiker berechnet, ob die Kellerwände den Umbau auch aushalten, Monsieur?«
»Natürlich. Außerdem sollten die Wände noch zusätzlich abgestützt werden«, murmelte Zamorra. Er ließ die Arbeiter stehen und eilte die Kellertreppe hinunter.
Nicole reckte ihren Kopf vor und lauschte. Sie hörte ihren Chef husten, dann vernahm sie nichts mehr.
»Fernand kann nicht mehr leben!« sagte einer der Männer. »Dem ist sicher ein Brocken auf den Schädel gefallen und hat ihn zermalmt. Und wenn das nicht passiert ist, dann erstickt er wegen mangelnder Luftzufuhr.«
»Trotzdem muß alles versucht werden, um ihn zu finden«, sagte ein anderer.
Eine steile Falte bildete sich über Nicoles Nasenwurzel.
Ein Unglück also. Offenbar ein tödliches. Aber von Seiten ihres Chefs war nichts unterlassen worden. Ein Statiker aus Anjou hatte die Kellerwände des Gewölbes genau geprüft und erklärt, daß sie meterdick wären!
Ja, der Statiker hatte sogar bezweifelt, ob mit einem einfachen Preßluftbohrer diesen Wänden beizukommen sei und vorgeschlagen, ob nicht eine kleine Dynamitexplosion, das erforderliche Loch in der Wand schaffen könnte. »Diese Wände halten noch mehr als Dynamit aus«, hatte er lachend erklärt. »Die sind für die Ewigkeit gebaut.«
Wie lange so eine Ewigkeit dauerte, wußte Nicole nicht. Sie wußte jetzt aber, daß dieser Statiker mit seinem selbstsicheren Wesen sich geirrt hatte.
Seine Beurteilung war falsch gewesen.
Auf einmal stand der alte Butler Raffael neben ihr.
»Mademoiselle Duval«, raunte er, »wissen Sie, wo Monsieur Zamorra ist? Ich muß ihm Besuch melden.«
»Besuch?« wiederholte Nicole verständnislos. »Was für Besuch?«
»Mademoiselle, Herrschaften aus Amerika sind eingetroffen. Eine gewisse Mrs. Meredith mit ihrer Tochter und deren Verlobten. Sie behaupten, von Monsieur Zamorra eingeladen worden zu sein.«
Nicole Duvals kleine Stupsnase mit den Sommersprossen kräuselte sich.
»Raffael«, sprach sie bedeutsam, »die haben uns gerade noch gefehlt. Der Chef wird ganz schön wütend sein!«
Raffael verneigte sich leicht. Sein faltiges Gesicht zeigte Schadenfreude. »Soll ich die Leute wegschicken, Mademoiselle? Wenn Sie mich fragen: Ich finde sie wirklich nicht sehr distingiert.«
»Wo denken Sie hin?« wehrte Nicole erschrocken ab. »Mrs. Meredith hat ein Failble für den Chef. Sie ist sehr reich und hat für die Forschungsarbeiten des Professors schon große Summen gestiftet. Ihr verstorbener Mann war ein Kollege vom Chef. Nein, ich werde mitkommen und die Besucher
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