0038 - Sie kamen aus dem Schattenreich
Im Gesicht des einen glaubte sie ein lüsternes Grinsen zu entdecken.
Die toten Augen der Gestalt tasteten unverhohlen ihren Körper ab, der unter dem hauchdünnen Nachthemd in voller Deutlichkeit zu sehen war.
Nicole ahnte, was nun kommen sollte, und sie schrie, schrie, schrie.
Doch niemand konnte sie hören…
***
»Zamorra! Zamorra! Komm raus und zeige dich!«
Zamorra schreckte hoch. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder zurechtfand.
Wer hatte ihn da gerufen?
Er war einen Moment eingenickt. Er hatte den ganzen Abend darüber nachgedacht, wie er sich gegen Mordius zur Wehr setzen konnte. Er hatte in Büchern nachgelesen, ob es in der Vergangenheit bereits einmal Ähnliches gegeben hatte. Doch er hatte nichts gefunden.
»Zamorra! Zamorra! Hörst du nicht? Komm raus!«
Wieder dieser Ruf. Zamorra schaute sich um. In der Bibliothek brannte nur eine Lampe. Er löschte sie und trat ans Fenster. Und hier überfiel ihn dieser Schrei ein drittes Mal.
»Zamorra! Zamorra! Ich rufe dich!«
Und da wusste der Professor, wer da nach ihm verlangte.
Es war Mordius, das Genie des Satans. Er erreichte ihn auf geistigem Wege. Und Zamorra konnte sich diesem Ruf nicht widersetzen.
Er musste ihm folgen.
Wie in Trance erhob er sich. Er ging zur Tür, öffnete sie und trat hinaus auf den Gang. Er schlug den Weg ein, der zum Wehrgang auf der Schlossmauer führte. Er trat hinaus auf den Gang und schritt auf der Schlossmauer dahin, bis er dicht vor dem Pfeiler des Portals stand.
Und da sah er sie.
Es waren vier Gestalten, die auf der Auffahrt zum Château standen und zu ihm hinaufblickten.
Eine von ihnen war Mordius. Zamorra konnte ihn deutlich erkennen. Die anderen drei hatte er noch nie gesehen, doch ein kurzer Blick genügte ihm, um zu wissen, wen er vor sich hatte.
Mordius hatte sich wieder eine neue Armee des Grauens aufgestellt.
»Was willst du?«, rief Zamorra. Seine Nerven vibrierten vor Ungeduld. Am liebsten hätte er sich auf das Ungeheuer dort unter ihm gestürzt. Aber Mordius hielt ihn in einer geistigen Fessel gefangen.
»Komm herunter!«, brüllte das Ungeheuer. »Du sollst sehen, wie du untergehst. Ich weiß, dass du stark genug bist, um dich meinem Befehl zu widersetzen, doch wenn du mir nicht folgst, dann wird deine Freundin sterben. Wir haben sie bereits sicher. Wenn du mir nicht glaubst, dann geh dich doch selbst überzeugen. Ich gebe dich solange frei. Aber komm ja wieder zurück!«
Zamorra spürte, wie die Fessel ihn freigab.
Nicole in den Fängen dieser Ungeheuer! Das durfte nicht sein!
Sie lag bestimmt in ihrem Zimmer und schlief. Mordius hatte sicher nur geblufft, musste geblufft haben. Wie hätte er denn Nicole aus dem Schloss holen können?
Zamorra rannte über den Wandelgang zurück und stürmte bis zu Nicoles Zimmer.
Die Tür stand offen, und der Professor sah mit einem Blick, dass Mordius die Wahrheit gesprochen hatte.
Aber wie hatte er es schaffen können, Nicole aus dem Château zu entführen, ohne dass etwas zu hören gewesen war? Und vor allen Dingern, wo befand sich Nicole im Augenblick?
Zamorra drehte sich um und rannte wieder zurück auf die Schlossmauer.
»Wo hast du sie?«, schleuderte er Mordius entgegen. »Wohin hast du sie gebracht?«
Ein höhnisches Lachen war die Antwort. »Das wirst du schon früh genug merken!«, schrie Mordius. »Doch erst einmal folgst du meinen Anweisungen. Vielleicht kannst du sie noch retten. Merkst du nun, dass ich stärker bin als du und als jeder andere Sterbliche? Du hast mir eine Niederlage bereitet, und ich will dafür meine Rache haben. Du kannst mir nicht mehr entrinnen. Komm jetzt!«
Zamorra wollte etwas erwidern, verstummte aber, als er merkte, wie etwas in seinen Geist Eingang fand und seinen eigenen Willen auslöschte. Er wollte sich dagegen wehren, wollte die fremde Macht aus seinem Geist verdrängen. Aber er schaffte es nicht. Der fremde Willen war zu übermächtig.
Unter Zwang stieg Zamorra über eine Leiter in den Schlosshof hinunter. Er näherte sich der Zugbrücke und entriegelte die Winde. Polternd setzte sich die Zugbrücke in Bewegung und senkte sich auf das gegenüberliegende Ufer des Burggrabens.
Mit unsicheren, staksigen Schritten ging Zamorra über die Bohlen der Brücke auf seinen Widersacher zu, der es nun endlich geschafft hatte, ihn zu besiegen.
Auf einen geistigen Befehl von Mordius hin blieb Zamorra stehen.
Vor sich sah er die verhasste Fratze des Untoten. Doch er konnte nichts unternehmen. Untätig musste
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