0039 - Turm der Verlorenen
Mantel mit fahlem Gesicht gegenübersaß.
Der untote Radu war von fast zerbrechlicher Statur, hatte feingliedrige Hände und einen melancholischen Ausdruck in den Augen. Nur mit Mühe hatte sich Mordius dem Zwang dieser Augen entziehen können.
Und dann hatte er nach und nach erfahren, was es mit diesem Schloss auf sich hatte.
Er hatte andere Wesen gesehen, hatte in der Nacht mitverfolgen können, wie sich die Lichttreppe aufbaute und diese menschlichen Wesen dann auf ihr hinuntergestiegen waren, um sich unten im Dorf zu verlieren. Gegen Morgen waren sie dann wieder zurückgekehrt. Sie waren hinabgestiegen in die Verliese der Burg, die im Inneren des Felsenturms lagen. Dort hatten sie tagsüber ihre Ruhestätten, wie Radu ihm erklärt hatte.
Doch Mordius wusste noch mehr, nämlich, dass diese Menschen zu denen gehörten, die im Laufe der Jahrhunderte bei ihrem heiligen Kampf gegen die Mächte des Bösen auf der Strecke geblieben waren. Sie waren zwar immer siegreich gewesen, doch hatte die Hölle sie zu ewiger Unrast verdammt. Jetzt warteten sie verzweifelt auf den, der sie von ihrem traurigen Los befreien und ihnen die ewige Ruhe schenken würde.
Mordius grinste hämisch, wenn er daran dachte, dass auch der Professor aus Frankreich bald Mitglied dieser Gruppe sein würde.
Er würde schon dafür sorgen.
Mordius trat hinaus auf den Wehrgang, der auf den Außenmauern der Felsenburg angelegt worden war. Er hatte einen weiten Blick über das Land, jedoch empfand er nichts von der Schönheit dieser Ansicht. Sein Denken war auf etwas anderes gerichtet, etwas, das näher kam und auf das er ungeduldig wartete.
Der geniale Teufel aus dem Reich der Toten trat an die Brüstung und beugte sich hinüber. Und er erblickte, was sein unseliges Gehirn schon längst wahrgenommen hatte.
Tief unter ihm mühte sich eine menschliche Gestalt ab, den Felsenturm zu erklettern.
Mordius hatte eine teuflische Idee. Er würde dem Mann dort unter ihm den Weg versüßen, wie er es nannte. Nein, seinem Gegner sollte die Zeit nicht lang werden…
***
Mit einer müden Bewegung wischte Zamorra sich den Schweiß von der Stirn. Verdammt, so schwierig hatte er sich den Aufstieg weiß Gott nicht vorgestellt. Es war ein mörderisches Einerlei der Bewegungsabläufe, das ihm sämtliche Kraft und Energie aus dem Körper zu saugen schien.
Der Riss, in dem er sich aufwärts bewegte, war etwa zwei Armdicken breit. Den rechten Arm hochschieben, ihn verkanten und dann den Körper nachziehen, war die einzige Möglichkeit, hier an Höhe zu gewinnen. Von Zeit zu Zeit zwängte er dann einen der schweren Eisenhaken in den Riss, an dem er sich dann festhielt und etwas ausruhen konnte.
Zamorra wagte gar nicht, nach unten zu schauen. Er wusste nicht, ob er soweit schwindelfrei war, dass er dann nicht das Gleichgewicht verlor. Im Augenblick empfand er seine Lage als höchst ungemütlich, und er verspürte nichts von dem Abenteuer, von dem begeisterte Alpinisten immer schwärmten, wenn sie von einer Bergtour zurückkehrten.
Unbarmherzig knallte die Sonne auf die Felswand und brachte die Luft um den Professor zum Kochen. Ein plötzlicher kühler Lufthauch ließ ihn zusammenzucken. Seit Stunden hatte sich keine kühle Brise gerührt.
Seine Nackenhaare stellten sich auf. Eine unerklärliche Angst kroch ihm in die Glieder und machte aus seinem Magen einen steinharten Klumpen. Ein schwarzer Schatten glitt über ihn hinweg und verlor sich auf der grauen Felswand über ihm.
In fieberhafter Eile nestelte Zamorra einen der eisernen Haken von seinem Hosengürtel und stieß ihn wie einen Dolch in den Riss, durch den er sich vorwärts bewegte. Ein Schlag mit der Faust, und der Haken saß fest.
Zamorra umklammerte ihn krampfhaft und wandte sich um. Es dauerte einen Moment, bis er erkannte, was da auf ihn zusegelte.
Ihm gefror das Blut in den Adern.
Mit mächtigen Flügelschlägen, aber vollkommen lautlos schwebte nicht weit von ihm ein Monstrum durch die Luft, dessen Anblick seine Vorstellungskraft bei weitem überstieg. Er hatte es schon einmal gesehen. Doch da war es Nacht gewesen, und er hatte keine Einzelheiten erkennen können.
Ihm kam es vor, als wäre eine Ewigkeit seit der Nacht verstrichen, in der ihn der Racheschrei des satanischen Wissenschaftlers aus dem Schlaf gerissen hatte. Deutlich sah Zamorra die Szene vor sich. Zwei Fabelwesen, zwischen denen Mordius hing, waren über seinem Schloss aufgetaucht.
Die Flügel des Ungeheuers glichen denen einer
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