0039 - Turm der Verlorenen
vor einem möglichen Absturz sicherten. Einmal hatte er es sogar selbst ausprobiert.
Daher war Zamorra auch überzeugt, diese Felswand in den Karpaten zu schaffen. Konditionsmäßig war er dafür in bester Form. Das einzige, was er brauchte, war ein stabiles Seil und etwas, das er als Haken benutzen konnte.
Beides zu beschaffen sollte keine Schwierigkeit sein. Auch wenn Valice ein Geisterdorf war, so musste sich doch irgendwo eine Schmiede befinden und unter Umständen sogar eine Art Lagerhaus oder eine Seilerwerkstatt.
Zamorra setzte seine Überlegungen sofort in die Tat um. Er verließ das geheimnisvolle Haus mit den Räumen, die genau den Räumen in seinem Schloss nachgebildet waren, und machte sich auf die Suche.
Lange brauchte er nicht durch das Dorf zu irren, dann hatte er gefunden, was er suchte. In einem Regal in einer winzigen Schmiede fand er sowohl die Haken als auch ein Hanfseil. Wusste der Teufel, wer es hier hatte liegenlassen. Zamorra dankte dem Himmel, der ihm dieses wertvolle Hilfsmittel in die Hände gespielt hatte.
Bei den Haken handelte es sich um Ungetüme, die alles andere waren als klettertechnische Hilfsmittel. Doch Zamorra musste sich wohl oder übel damit zufrieden geben. Es musste einfach auch damit klappen.
Zamorra kehrte in das Gasthaus zurück, das nun völlig verwaist war. Nichts ließ vermuten, dass in der Nacht vorher hier noch lebhafter Betrieb geherrscht hatte, wenn es auch wahrscheinlich nur Untote gewesen waren.
Zamorra ahnte irgendwie, dass ein uraltes Geheimnis diese seltsame Schar umgab. Ganz nebenbei nahm er sich vor, dieses Geheimnis zu lüften, falls er dieses Abenteuer überstehen sollte.
In dem Gasthaus fand Zamorra seinen Rucksack. Er hatte ihn dort stehengelassen. Der Professor suchte seine Taschenlampe und steckte zur Sicherheit die Nagan-Pistole ein, auch wenn er nicht unbedingt auf ihren Schutz bauen konnte. Wenn er es wirklich mit Dämonen zu tun bekam, und das stand für ihn nach dem Erlebten außer Frage, dann würde ihm diese weltliche Waffe nicht viel nützen.
Doch es war immerhin besser als nichts.
Es war noch sehr früh. Eben erst stieg die Sonne im Osten über die Hügelkette, die das weite Tal begrenzte. Zamorra empfand nach der kalten Nacht die wärmenden Strahlen als eine Wohltat. Und er sah seine Situation nicht mehr in einem so trüben Licht wie noch Stunden vorher.
Entschlossen machte er sich auf den Weg, um seinem Todfeind zu Leibe zu rücken. Eine Ahnung und sein Glaube an seine Fähigkeiten sagten ihm, dass er nicht auf verlorenem Posten stand und dass sich beizeiten ein Verbündeter bei ihm melden würde.
***
Eingehüllt in einen Schleier aus milchigem, diffusem Licht lag das alte Schloss auf der Spitze des Felsenturms. Vom Talgrund aus war dieser Lichtschleier nicht wahrzunehmen, da das grelle Sonnenlicht alles mit seinem hellen Schein übergoss und sämtliche Schattierungen auslöschte.
Innerhalb der alten und verwitterten Mauern herrschte eine ungewisse Dämmerung. Die weiten Hallen und Gänge wurden erfüllt von einem Seufzen und Ächzen, das direkt aus der Unterwelt aufzusteigen schien. Es war ein Leidensgesang der Verdammten, die in diesem Schloss eine neue Heimat gefunden hatten. Ein unseliger Bann hielt sie hier gefangen, aus dem sie nur erlöst werden konnten, den abzustreifen sie aber aus eigener Kraft nicht in der Lage waren.
Mordius, den die Unterstützung des Satans hierher verschlagen hatte, wandelte durch die Gänge und fieberte dem Augenblick entgegen, in dem er seinem geschworenen Todfeind gegenüberstehen würde.
Er konnte bereits die Ausstrahlungen des Gehirns spüren, dessen Eigentümer dabei war, sich der Burg zu nähern. Er hatte keine Angst vor dem Kampf, von dem sein teuflischer Geist glaubte, dass es der letzte sein würde.
Er hatte mächtige Verbündete, die bereits seit Jahrhunderten ihr unheimliches Leben als Untote dem Bösen verschrieben hatten. Mit einer gewissen Bewunderung hatte Mordius dem Herrn dieses Schlosses seine Aufwartung gemacht.
Es war Radu, ein Bruder des berüchtigten Vlad Dracula, der im fünfzehnten Jahrhundert hier in der Gegend sein Unwesen getrieben hatte. Auch er hatte ein Vergnügen darin gesehen, die armen Bauern in der Umgebung mit immer neuen Teufeleien zu quälen.
Mordius kannte die Geschichte dieses Ungeheuers in Menschengestalt genau. Direkt bei seiner Ankunft hatte er mit dem Besitzer der Felsenburg eine lange Unterhaltung geführt und erfahren, wer ihm da in dem blutroten
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