0039 - Turm der Verlorenen
was ihn in den Mauern der geheimnisvollen Burg wohl erwarten würde, fraßen ihn auf und raubten ihm jede Zuversicht und Überlebenswillen.
»Ich schaffe es! Ich schaffe es!« Immer wieder sagte Zamorra den Satz laut vor sich hin, als könne er aus den Worten neue Kraft schöpfen.
Die Eintönigkeit der grauen Fläche vor ihm wurde plötzlich gestört.
Der Felsriss war zu Ende und ging über in eine schnurgerade, mit Mörtel gefüllte Fuge. Dies hier war nicht mehr von der Natur geschaffen, hier hatte die Hand eines Menschen eingegriffen.
Zamorra hatte die Außenmauern der Burg auf der Felsnadel erreicht. Wenn sein Weg auch noch nicht ganz zu Ende war, so erfüllte ihn doch ein leichtes Gefühl des Triumphes. Wieder einmal hatte er sich bewiesen, dass er mit seiner Willenskraft alles in Angriff nehmen und erfolgreich zu Ende führen konnte.
Zamorra nahm einen zweiten Haken von seinem Gürtel und trieb ihn in den Riss dicht unter den zugehauenen Steinquader, der ihn nach oben hin abschloss. Der Haken hielt beim dritten Faustschlag.
Zamorra zog sein Seil durch die Öse und sicherte, so gut es eben ging.
Dann nahm er einen anderen schmalen Haken und begann, den Mörtel aus der Fuge zu kratzen. Das war die einzige Möglichkeit für ihn, sich für den Weiterweg einen genügend sicheren Halt zu schaffen. Unter einem leisen Klirren und Rauschen lösten sich kleine Brocken der halbverwitterten Mörtelmasse und suchten sich über die fast senkrechte Felswand einen Weg nach unten.
Zamorra dachte nicht daran, dass er damit seinen Standort vielleicht verraten könnte. Wer ihn suchte, der hatte ihn sicher längst gefunden. Und darüber hinaus war er überzeugt, dass sich niemand ohne zwingende Gründe hier in diese trostlose Gegend verirrte.
Verbissen arbeitete Zamorra mit dem notdürftigen Werkzeug.
Endlich hatte er es soweit geschafft, dass er sich in einer quer verlaufenden Fuge festklammem konnte. Seine Finger fanden einen genügend großen Vorsprang, um sich halten zu können.
Zentimeterweise kämpfte Zamorra sich hoch. Sein Atem ging keuchend. Schuld daran war weniger die körperliche Anstrengung als die nervliche Anspannung, unter der er stand. Immer wieder, wenn er den Kopf wandte, musste er hinunterblicken in die grundlose Tiefe. Mit schmerzlicher Deutlichkeit wurde ihm seine fast ausweglose Situation bewusst. Doch er musste es bald geschafft haben.
Entschlossen machte er sich erneut ans Werk. Und Stück für Stück näherte er sich dem Ende seines Weges.
Nun erreichte er die Brüstung, die durch mehrere Schießscharten unterteilt war. Um ganz dort hinaufzugelangen, musste der Professor eine Art Überhang überwinden. Die obere Auflage auf der Mauer ragte fast einen halben Meter über die Wand hinaus. Zamorra wusste, was ihn erwartete.
Er verschnaufte kurz und begann dann mit seinem Angriff auf dieses letzte Hindernis. Er hielt sich an einem Haken fest und lehnte den Oberkörper zurück. Dabei glitten die Finger seiner rechten Hand tastend über die raue Fläche. Endlich griffen sie ins Leere, seine Hand hatte das Ende, den Rand der Balustrade erreicht.
Jetzt kam für ihn auch der kritische Augenblick, der über Leben und Tod entschied. Zamorra hielt sich mit der rechten Hand an der Kante der Schutzmauer fest. Um ganz auf die Mauer zu gelangen, musste er sich mit der Linken von der Felswand lösen. Das würde allerdings bedeuten, dass er sich nur mit einer Hand hielt und im wahrsten Sinne des Wortes alles daran hing.
Zamorra biss die Zähne zusammen und hielt die Luft an. Dann ließ er mit der linken Hand den Haken in der Felswand los, an dem er sich gehalten hatte. Für einige gefährliche Sekunden pendelte sein Körper, gehalten durch nur eine Hand, wild hin und her. Dann kam er allmählich zur Ruhe. Zamorra reckte den anderen Arm und verkrallte die Hand ebenfalls um die Kante der Brüstung.
Er wagte nicht nach unten zu schauen. Ihm reichte es schon, nur zu wissen, dass es unter ihm etwa vierhundert Meter senkrecht in die Tiefe ging. Den Anblick konnte er sich ersparen.
Wie ein Artist schwang er nun seine Beine hinauf und versuchte, sich ganz über die Kante zu schieben. Bei den ersten Versuchen rutschte sein Fuß immer wieder ab. Dann endlich hatte er es geschafft. Noch nachträglich trat ihm der Angstschweiß auf der Stirn, als er daran dachte, wie knapp er einem Absturz entgangen war.
Und allmählich kehrte auch das Erlebnis mit dem Flugungeheuer in sein Gedächtnis zurück. Die ganze Zeit über
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