0043 - Die Geister-Lady
Charme. Sie war so zuverlässig wie ein Felsen, auf dem man sein Haus bauen möchte. Was es an Sekretärinnenarbeit gab, erledigte sie sozusagen mit der linken Hand. Nebenbei spielte sie noch des Professors Kindermädchen, sie bemutterte ihn und war Tag und Nacht für ihn da, wenn er sie brauchte. Als die Patronen aus dem Lauf waren, wandte sie sich an Zamorra. Ihre Augen leuchteten.
»Na, wie habe ich das wieder hingekriegt?«
»Ich werde dich für die französischen Staatsmeisterschaften im Pistolenschießen nominieren«, lachte Zamorra. »Oben im Salon ist Platz für ein paar prächtige Pokale.«
Sie verließen den unterirdischen Schießstand.
Vor Château Montagne lag ein herrlicher, sonnendurchfluteter Tag. Dichte Wälder umschlossen die Gemäuer. Im ausgetrockneten Schlossgraben wucherte hohes Unkraut. Wenn man aus einem der Fenster sah, hatte man einen prachtvollen Ausblick auf das liebliche Loiretal.
Zamorra seufzte. Er musste fort. Schon in den nächsten Tagen. Die Russen hatten ihn an die Universität von Nowosibirsk eingeladen.
Er sollte da an vier aufeinander folgenden Tagen Vorträge über sein Spezialgebiet, die Parapsychologie, halten.
Er wusste nicht, warum er sich nicht auf diese Reise freute. Ansonsten bereiste er die ganze Welt sehr gern. Doch diesmal würde Nicole nicht bei ihm sein. Die Russen hatten durchblicken lassen, dass die Anwesenheit seiner Sekretärin nicht unbedingt nötig wäre.
In Gedanken schüttelte Zamorra den Kopf. Sind schon komische Menschen, diese Russen, dachte er. Schirmen sich andauernd ab, machen aus allem ein Staatsgeheimnis, reden von Entspannungspolitik und Vertrauen und handeln genau konträr.
Während der Professor mit seiner Sekretärin im Salon saß und sich an die Trinksitten der Russen zu gewöhnen versuchte, indem er Wodka in seine Kehle rinnen ließ, rollte ein Wagen die lang gezogene Serpentinen hoch, die zum Schloss hinaufführten. Das Fahrzeug rumpelte durch eine Menge Schlaglöcher. Hohe dunkle Kastanien säumten die Fahrbahn. Links und rechts wurde der Mischwald immer wieder von satten Weiden unterbrochen. Verstreute Gehöfte duckten sich in Bodensenken. Ab und zu konnte man auf halber Höhe des Hanges bereits die Zinnen von Château Montagne erkennen.
Zehn Minuten später fuhr der Wagen in den Innenhof des Schlosses. Der Mann am Steuer stellte den Motor ab. Er atmete tief durch und sah sich um. Immer wieder fühlte er die romantisch- versponnene, aber auch seltsam bedrohliche Atmosphäre, die von diesem alten »Kasten«, wie er das Schloss insgeheim nannte, ausging.
Ein alter Ziehbrunnen bildete die Mitte des Hofes. Obwohl die Sonne schien, hingen düstere, beinahe gespenstische Schatten in den tiefen Winkeln der Burg.
Schaudernd schälte sich Bill Fleming aus dem Wagen. Als sich das Tor nicht gleich öffnete und ihm sein Freund Zamorra und dessen Sekretärin nicht freudig entgegengestürmt kamen, drückte er mehrmals auf die Hupe. Der Schall prallte gegen die hohen Schlossmauern, fand nirgendwo einen Ausweg und zitterte als lang anhaltendes Echo geisterhaft nach.
Knurrend öffnete sich daraufhin das Tor.
Ein großer schlanker Mann erschien. Sein Blick war fest. Seine Züge waren männlich- markant – Professor Zamorra.
»Bill!«, rief er lachend. Er schwang die Hand hoch. »Bill Fleming! Ist das eine Freude!«
Fleming, ein amerikanischer Historiker und Naturwissenschaftler, ging mit schnellen Schritten auf den Freund zu. Sie umarmten sich lachend und schlugen sich auf den Rücken. Dann reichte Zamorra seinen Freund an Nicole Duval weiter, die inzwischen ebenfalls aufgetaucht war.
»Seien Sie herzlich auf Château Montagne willkommen, Bill«, sagte Zamorras Sekretärin strahlend.
Bill musste mit ihnen ins Schloss gehen. Er bekam Wodka, musste zuerst einmal trinken und hinterher erzählen, wie er auf die prächtige Idee gekommen wäre, New York zu verlassen und ins Loiretal zu kommen.
»Nicht, dass wir dich nicht mit offenen Armen bei uns aufnehmen wollten«, sagte Zamorra lachend. »Nur… Du hast diese Absicht mit keiner Silbe erwähnt. Und plötzlich tauchst du hier bei uns auf. Eine gelungene Überraschung, mein Junge. Nicole und ich freuen uns sehr, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast …«
Bill drehte sein Glas zwischen den Handflächen hin und her.
»Nun, so weit war der Weg gar nicht«, schränkte er ein.
»Hör mal, von New York bis hierher sind es…«
»Ich komme nicht von New York«, sagte Fleming
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