0043 - Die Geister-Lady
dann vernahm er noch einmal ihren Fluch, den sie heute Nacht wahrmachen wollte.
Sie wollte ihn und alle seine männlichen Nachfahren umbringen – das Geschlecht Plotkin auslöschen… Für ewige Zeiten. Ganz langsam stieg das Grauen in Micha Plotkin hoch, und zum ersten Mal in seinem Leben bereute er etwas.
Er hatte nicht geglaubt, dass Anja ihm nach ihrem Tod noch gefährlich werden konnte. Und doch hatte sie es auf eine unerklärbare Weise geschafft, sich mit dem Höllenfürsten in Verbindung zu setzen. Sie hatte ihm ihre Seele versprochen, wenn er ihr dafür die Möglichkeit gab, sich am Geschlecht der Plotkins zu rächen. Und der Teufel war mit Freuden auf diesen Pakt eingegangen, wie sich zeigte.
Wieder vernahm er ihr aufgeregtes Atmen. Er zuckte zitternd herum und ballte instinktiv die Fäuste. Sie begann wieder zu leuchten.
Grellweiß wurde sie. Und dann schossen ihre eiskalten Hände auf seinen Nacken zu. Sie packte ihn mit der Kraft eines wilden Bären.
Er versuchte sich verzweifelt gegen diesen Angriff zur Wehr zu setzen, doch Anja war ungemein stark. Sie konnte ihn mühelos hochheben. Er spürte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen und zappelte aufgeregt.
»Jetzt!«, schrie ihm die weiße Frau hasserfüllt ins Gesicht. »Jetzt, Micha Plotkin! Hier – zu dieser Stunde – wirst du sterben!« Obwohl sie lauthals schrie, vermochte nur der Fürst sie zu hören. Niemand sonst im Haus ahnte, was hier auf der Treppe vor sich ging. Es war ein schreckliches Schauspiel. Die weiße Frau stand hoch aufgerichtet da. Mit ihren Händen hielt sie den großen Mann hoch. Er zitterte und zappelte, versuchte wieder Boden unter die Füße zu kriegen, sein angstverzerrtes Gesicht starrte auf die vielen Stufen hinunter.
Und mit einemmal holte Anja kraftvoll aus. Wie einen Ball schleuderte sie ihren Mann die Stufen hinunter. Er prallte auf die Treppe und überschlug sich bis zur Halle hinunter mindestens zwanzigmal.
Auf halbem Weg schon brach er sich das Genick.
Als er das Treppenende erreichte, war kein Leben mehr in seinem Körper. Die weiße Frau flog hinter ihm her. Sie umtanzte lachend seinen Leichnam und klatschte begeistert in die milchweißen Hände.
»Nummer eins!«, kreischte sie immerzu. »Nummer eins. Und viele andere Plotkins werden ihm folgen…!«
Dann schwebte sie auf die Tür zu. Sie brauchte sie nicht aufzumachen, sondern sickerte durch sie hindurch. Ein helles Leuchten flirrte über das weite Grundstück, während sie dem Tor zustrebte. Als sie den rechten Pfeiler erreichte, stieß sie einen schweren Seufzer aus.
Dann drang sie durch die Ziegelmauer bis zu ihren Gebeinen vor.
In dieser Nacht kam ein einsamer Wanderer am Tor vorbei. Dem Mann war, als höre er ein schauriges Gelächter. Neugierig ging er darauf zu, und als er bemerkte, dass dieses Gelächter aus einem der beiden Torpfeiler kam, wirbelte er herum und nahm in panischem Schrecken Reißaus.
Seit damals wusste jedermann in Nowosibirsk und Umgebung, dass es auf dem Plotkinschen Grundstück spukte – und man begann die Gegend ängstlich zu meiden…
***
Professor Zamorra schlug blitzschnell mit seiner Handkante zu. Der Schlag war gegen Nicole gezielt, doch das ausnehmend hübsche Mädchen fing den Hieb geschickt ab. Gleichzeitig hebelte Nicole ihren Chef aus und schleuderte ihn mit großem Schwung auf die Matte, dass es durch den ganzen Turnsaal donnerte.
»Bravo, Nicole!«, rief Zamorra lachend aus und schnellte wieder hoch. »Das war grandios.«
Nicole schmunzelte. »Ich habe den besten Lehrer, den ich mir wünschen kann, Chef.«
Sie waren beide etwas außer Atem geraten. Das Karatetraining lief nun schon seit einer vollen Stunde mit einer Intensität, als gelte es, sich auf irgendwelche Karatemeisterschaften vorzubereiten. Jetzt machten sie Schluss. Nachdem sie geduscht und umgezogen waren, holte Zamorra zwei Smith & Wesson .38 Special. Sie begaben sich zum Schießstand, den der Professor auf seinem Schloss eingerichtet hatte, und begannen auf die Zielscheiben zu feuern. Damit sie vom Schusslärm nicht taub wurden, trugen sie dicke Ohrschützer auf dem Kopf.
Natürlich hatte Zamorra die bessere Trefferserie. Aber seine Sekretärin stand ihm darin nur unwesentlich nach.
Zamorra beobachtete sie, als sie die Zielscheibe während der nächsten Schussserie anvisierte. Sie war voll konzentriert.
Nicole Duval. Ein Traummädchen. Ein echter Glücksfall für den Professor. Schön, intelligent, sprühend vor Lebendigkeit und
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