0043 - Die Geister-Lady
politischen Feind erklärt hat. Was das in der Sowjetunion heißt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Jetzt ist der KGB – der russische Geheimdienst – scharf auf Semjon. Wir haben erfahren, dass sich der Junge durch eine überstürzte Flucht im letzten Augenblick einer Verhaftung entziehen konnte. Seither weiß keiner mehr, wo Semjon Muratow steckt. Sie müssen ihn also erst mal suchen. Und Sie müssen ihn schnell suchen, Professor Zamorra. Denn der KGB sucht ihn ebenfalls. Und wenn ihn der erst mal gefunden hat, können Sie Ihre Koffer packen und unverrichteter Dinge nach Hause fahren.«
Es war eine recht fruchtbare Unterredung zwischen den beiden Männern.
Einen Tag später trafen sie einander noch einmal in dem kleinen Pub. Diesmal brachte Frankenheimer die versprochenen Papiere mit. Und er gab Zamorra einen Namen mit auf den Weg: Fedja Lipski.
»Das ist unser Mann in Sibirien«, erklärte Frankenheimer. »Wenn Sie erst mal da sind, empfehle ich Ihnen, sich unverzüglich mit ihm in Verbindung zu setzen. Er weiß bereits, dass Sie kommen werden.« Der Secret-Service-Mann hob die Schultern. »Tja. Das wäre im Moment eigentlich alles, was wir für Sie tun können. Wir werden versuchen, Sie aus der Ferne im Auge zu behalten, Zamorra. Was Sie in Russland auch anstellen werden, wir werden es erfahren – sofern die Verbindung nicht abreißt. Diese Fäden – ich muss es leider zugeben – sind an manchen Stellen verflixt dünn.«
***
Frost. Semjon Muratow lag in der verwitterten und verfallenen Köhlerhütte auf dem Boden, eingewickelt in eine stinkende, löchrige Decke, die er hier gefunden hatte. Seine Zähne schlugen klappernd aufeinander. Frost! Gott, wie ich ihn hasse! dachte der frierende Junge. Er rieb sich die Hände, hauchte in die Handflächen, warf schließlich die Decke ab und begann in der schäbigen, von ihren einstigen Bewohnern verlassenen Hütte auf und ab zu rennen. Durch die zahlreichen Risse pfiff der kalte Wind. Er rüttelte am Gebälk, als wollte er das miese Gebäude ärgerlich zerbrechen. Zwischen zweihundert und zweihundertsiebzig Tagen im Jahr gibt es in Sibirien diesen furchtbaren Frost. Und doch ist er den wenigen tapferen Gemütern, die dort leben, immer noch lieber als die warme Jahreszeit, denn der Frühling verwandelt das Land in einen von Mückenschwärmen heimgesuchten weglosen Morast.
Seit mehreren Tagen schon versteckte sich Semjon in dieser alten Hütte, die in einem finsteren Winkel der unendlichen Taiga stand.
Es heißt, dass kein halbwegs erfahrener Mensch in der Taiga umkommen kann. Sie ernährt ihn und heilt seine Wunden. Was sie dem Menschen an Nahrung anzubieten hat, ist vielgestaltig: Waldtiere, Fische, die Wurzeln bestimmter Bäume, Pilze. Praktisch für jedes Leiden – von Zahnschmerzen bis zur Herzattacke – gibt es in der Taiga eine Heilpflanze. Eine einzige Zeder kann einen Menschen ein ganzes Jahr hindurch ernähren, denn ihre ölhaltigen Nüsse zeichnen sich durch einen hohen Nährwert aus.
Bibbernd lief Semjon in der Hütte auf und ab. Er schlug so lange mit den Händen um sich, bis ihm warm war. Dann trat er ins Freie.
Er hatte rund um die Hütte einige Fallen aufgebaut. Diese wollte er nun inspizieren, um zu sehen, ob sich ein Tier darin gefangen hatte.
In der dritten Schlinge hing ein Hase. Semjon nahm ihn auf und hackte ihm seine Handkante hinter die Löffel.
Plötzlich ließ ihn ein gefährliches Knurren zur Salzsäule erstarren.
Mit einem erschrockenen Schrei wirbelte er herum. Während er sich noch drehte, riss er sein Messer aus dem Gürtel.
Da schoss ein kräftiger Wolf auf ihn zu. Das Tier war außergewöhnlich groß, und es schien ungeheuren Hunger zu haben. Mit gesträubtem Fell rannte der gefährliche Mörder auf sein Opfer zu. Die Muskeln wurden eisenhart. Und dann sprang das knurrende Tier hoch, um dem Jungen seine blitzweißen, dolchartigen Fangzähne in die Kehle zu schlagen und diese aufzureißen.
Entsetzt schnellte Semjon zurück. Er stolperte und fiel. Der Wolfsleib prallte gegen seinen Körper. Die geifernde Schnauze suchte seinen Hals. In größter Panik stach Semjon – blind vor Angst – auf den zotteligen Angreifer ein. Der getroffene Tierleib schnellte herum. Ein fürchterliches Jaulen jagte Semjon eiskalte Schauer über den Rücken.
Er sah den weit aufgerissenen, roten Rachen dicht über seinem Gesicht und stach erneut zu. Immer und immer wieder. Gleichzeitig schlug er in wahnsinniger Angst um sich.
Obwohl der Wolf
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