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0043 - Die Geister-Lady

0043 - Die Geister-Lady

Titel: 0043 - Die Geister-Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.F. Morland
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schätzt, dass die Bevölkerungszahl allen Widernissen zum Trotz in den nächsten 25 bis 35 Jahren auf 60 bis 100 Millionen ansteigen wird. Vitalis Blick glitt über einige Städtenamen: Omsk, Nowosibirsk, Irkutsk…
    »Idioten!«, knurrte er noch einmal. »Sind nicht fähig, den Jungen zu fangen. Kyrill Vitali wird ihnen zeigen, wie man das macht!« Er wandte sich mit einem höhnischen Lächeln um. »Ich werde mir den Jungen holen. Und ich werde nur wenige Tage dazu brauchen!«
    Der Mann mit der Nickelbrille nickte eifrig. Schließlich war Vitali Oberst. Allein deshalb musste er schon nicken. Aber nicht nur deshalb. Vitali war allgemein für seine außergewöhnliche Spürnase bekannt. Wenn er sagte, er würde den Jungen finden, dann war das kein schales Gerede, dann schaffte er das auch.
    »Bereiten Sie alles für meine Abreise vor, Genosse!«, sagte er zu seinem Untergebenen.
    »Jawohl, Genosse Oberst.«
    »Ich fliege noch heute!«
    »Geht in Ordnung, Genosse Oberst.«
    Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte Kyrill Vitali den Kopf. »Eine impertinente Frechheit legt dieser Junge an den Tag. Zuerst lässt er sich auf Staatskosten ausbilden, und kaum ist er ein brauchbarer Ingenieur, will er seiner Heimat den Rücken kehren und ins Ausland gehen. Verdammt undankbar ist dieser Junge, was sagen Sie dazu, Genosse?«
    »Verdammt undankbar«, erwiderte der Brillenträger. »Wenn man bedenkt, wie gut Mütterchen Russland zu ihm war… Eine Frechheit, würde ich sagen!«
    Vitali nickte mit aufeinander gepreßten Kiefern. »Ich werde ihm zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verhelfen. Er hat es selbst so gewollt.«
    ***
    Seit vielen Jahren wohnte niemand in jenem Haus, in dem Fürst Micha Plotkin zu Tode gekommen war. Es stand ein wenig außerhalb von Nowosibirsk und war dem Verfall preisgegeben.
    Hundert Jahre war Fürst Plotkin nun schon tot. Und auch seine männlichen Nachfahren waren auf zum Teil recht geheimnisvolle Arten ums Leben gekommen. Über all die Jahre hinweg hatte sich das Gerücht von der spukenden weißen Frau mit einer verblüffenden Hartnäckigkeit gehalten. Man sprach nicht gern darüber, doch hin und wieder kam doch die Rede auf jenen geheimnisumwitterten Geist.
    »In Vollmondnächten«, sagte Oleg Dagorski mit schwerer Zunge, »soll sie aus ihrem Pfeiler kommen und auf dem Grundstück spuken.«
    »Blödsinn«, sagte Tichon Sellnow, der ebensoviel grusinischen Wein wie sein Gast getrunken hatte. »Eine weiße Frau! Ein Spuk. Blödsinn, sag’ ich.«
    Dagorski schaute seine Frau an. »Milda. Sag du es ihm.«
    Milda bestätigte die Worte ihres Mannes mit einem ernsten Kopfnicken. Als Sellnow wieder »Blödsinn« sagte, sah sich Milda zu der Äußerung veranlasst: »Im Ernst, Tichon. Es gibt diese weiße Frau.«
    Sellnow kniff die Augen listig zusammen. Er stieß seine Frau an und meinte kichernd: »Merkst du was, Valentina? Die beiden wollen mich auf den Arm nehmen. Aber darauf falle ich nicht herein. So blau bin ich noch nicht, dass ihr mir das einreden könnt. Da muss ich kurz vor der Ohnmacht stehen… Und selbst dann nehme ich euch eure Schauergeschichte nicht ab.«
    Oleg Dagorski zündete sich eine Papirossa an und blies den Rauch über den Tisch. Valentina hustete, doch das störte Oleg nicht. Er war ein schwerer, gutmütiger Brocken, der einen Stier mit einem einzigen Faustschlag niederstrecken konnte. In seinem Vollbart gab es Läuse, und er kratzte sich ununterbrochen irgendwo im Gesicht. Seine Augen waren groß und glasig. Er und Tichon Sellnow hatten längst die Übersicht verloren, wie viel sie an diesem Abend bereits getrunken hatten.
    Ärgerlich starrte er seinen Freund und Nachbarn an. Sellnow war so dünn, dass er nur zwei Krankheiten kriegen konnte: Den Beinfraß oder eine Hautkrankheit.
    »Und ich sage dir noch einmal, es gibt die weiße Frau, Tichon!«
    »Dann muss ich noch einmal sagen: Blödsinn!«
    »Der Blödsinn bist du selbst!«
    »Ach, halt’s Maul, Oleg.«
    »Fangt jetzt bloß nicht wieder an zu streiten!«, schrie Milda wütend dazwischen, und ihre großen schwarzen Augen funkelten leidenschaftlich. Sie erkannte die Anzeichen zum Glück immer rechtzeitig. Trotzdem prügelten sich Oleg und Tichon manchmal im Suff, ohne dass ihre Freundschaft deswegen jemals gelitten hätte. Schon am nächsten Tag grüßten sie sich bereits wieder freundlich und taten so, als wäre nichts geschehen. Eine wetterfeste Freundschaft nannten sie das.
    Tichon Sellnow wandte sich mit seinen weinglänzenden

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