0044 - Das Trio des Teufels
entlang. Seine Füße fanden auf einem schmalen Vorsprung Halt, die Hände krallte er in das rissige Mauerwerk des ehemaligen Schlosses. Geschmeidig bewegte er sich nach links. Er mußte das Vordach des Hauptportals erreichen. Von dort konnte er dann auf den weichen Grasboden springen. Giselas Zimmer lag im zweiten Stock. Im ersten befanden sich die jetzt leeren Klassenräume. Es bestand also keine Gefahr, von dort aus entdeckt zu werden.
Hans ging diesen Weg nicht zum erstenmal.
Trotzdem war er vorsichtig. Besonders schwierig wurde es, als er um eine Säule herum mußte.
Aber auch das schaffte er.
Dann hatte er das Vordach erreicht. Es bestand aus Beton und war nachträglich angebaut worden, ebenso das Schwimmbad und die Turnhalle. Hans Schneider sprang auf das Dach. Er kam federnd auf, und ein wildes Lächeln umspielte sein Gesicht.
Im Augenblick fühlte er sich wie Tarzan auf einem seiner Dschungel-Streifzüge.
Hans lief vor bis zum Rand, schaute nach unten und zuckte zurück.
Vor dem Eingang stand jemand.
Ein Mann.
Er rauchte eine Zigarette und ging langsam auf und ab. Nach oben schaute er nicht.
Hans Schneider wich lautlos zurück und legte sich flach auf das Dach, während er vorsichtig nach unten peilte. Er kannte den Mann. Es war Harry Hart, der Sportlehrer. Ein Typ, auf den die Mädchen flogen.
Hans grinste, als er den Lehrer beobachtete. Er mußte heimlich rauchen, weil sich das mit dem Image des Sportlehrers nicht vertrug.
Hans’ Blick wanderte weiter. Ein großer Park umgab das Internatsgebäude. Er wurde von schmalen Wegen durchschnitten, und es führte auch eine asphaltierte Straße hindurch, die die Verbindung zur Bundesstraße war. Die Schule lag einsam. Hinter dem Park begann ein großes Waldgelände, nur von Wiesen und kleineren Seen unterbrochen. Zehn Kilometer war das nächste Dorf entfernt. Vor einigen Wochen war die kleine Ortschaft zugeschneit gewesen.
Der Turnlehrer hatte seine Zigarette zu Ende geraucht. Er warf die Kippe im hohen Bogen fort. Sie landete auf einer gefrorenen Pfütze und verlosch.
Harry Hart reckte und streckte sich. Er strich sich noch einmal über das Haar und verschwand dann im Haus.
Hans Schneider ließ einige Minuten verstreichen, bis er ganz sicher war, daß ihn niemand mehr beobachtete. Dann lief er zur rechten Seite des Dachs, schätzte kurz die Entfernung ab und sprang hinunter.
Er landete weich. Rasen und Schnee dämpften seinen Sprung. Bis zu den Bäumen hatte er rund fünfzig Meter freie Strecke zu überwinden. Er schaffte dies in Sprintermanier und war froh, als er zwischen den Stämmen der Buchen, Eichen und Pappeln untertauchen konnte.
Nachtnebel kroch über den Boden. In langen Schleiern rollte er sich um Bäume und hüllte auch bald den einsamen Mann ein wie ein Watteschleier. Hans Schneider stieß seine Hände in die Hosentaschen und schritt zügig voran.
Angst kannte er nicht. Obwohl zwei Mädchen in den letzten Tagen auf bestialische Weise umgekommen waren, fühlte er sich sicher. Was sollte ihm schon passieren?
Doch der junge Mann täuschte sich. Er hatte seinen kleinen Fiat nahe der Bundesstraße abgestellt, und die Hälfte der Strecke bereits hinter sich, als er die Gestalt sah.
Abrupt blieb Hans stehen.
Wie ein Denkmal stand die Gestalt zwischen den Bäumen. Aber…?
Hans atmete unwillkürlich schneller, als er dies sah. Die Gestalt saß in einem Rollstuhl!
Ein Traum? Eine Halluzination?
Hans ging näher. Er nahm seine Hände aus den Taschen und ballte sie zu Fäusten.
Die Gestalt hatte ihm das Gesicht zugedreht. Hans sah, daß es einer alten Frau gehörte.
Aber was suchte sie um diese Zeit im Park? Und dazu noch im Rollstuhl? Dem jungen Mann wurde es flau im Magen, trotzdem ging er weiter vor, und als er sich nur noch zwei Meter von der Frau entfernt befand, blieb er stehen.
Sie starrten sich an.
»Guten Abend«, sagte die Frau.
Ihre Stimme klang krächzend.
Hans nickte. »Haben Sie sich verlaufen?« fragte er.
Die Alte kicherte. Sie hatte ein Kopftuch umgebunden. Das Gesicht schien nur aus Falten zu bestehen. Es glänzte nebelnaß. »Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie.
Hans schluckte. »Auf mich?«
»Ja, mein Kleiner.«
»Und warum?« Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Die Alte antwortete nicht sofort. Statt dessen griff sie mit der rechten Hand unter die Decke, und als sie sie wieder hervorzog, hielt ihre Faust ein Messer mit unterarmlanger Klinge umklammert. »Ich habe auf dich gewartet, weil du
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