0047 - Der Alptraum-Garten
daß ihm das im Boot stehende Regenwasser nicht die Füße näßte.
Er überprüfte, ob das Boot ein Leck hatte, doch das war nicht der Fall. Trotzdem brauchte das Holz unbedingt einen neuen wasserfesten Anstrich, sonst faulten die Planken.
Zufrieden nickte der Hobbyfischer und schaute ein letztes Mal über den See, bevor er ausstieg.
Plötzlich hatte er das Gefühl, dicht vor einem Herzinfarkt zu stehen. Auf dem Wasser trieb etwas.
Kein Ast oder irgendein anderer hölzerner Gegenstand, sondern – ja, was war das eigentlich?
Maurice Marac schaute genauer hin, und dann erkannte er den »Gegenstand«. Es war – eine Leiche!
»Nein!« flüsterte Marac. Er war im ersten Moment unfähig, sich zu rühren.
Wie hypnotisiert starrte er auf den leblosen Körper, der direkt auf den in den See führenden Anlegesteg zu trieb, von den Wellen mal hoch gehievt, dann überspült, aber immer weiter getragen wurde.
Und es war…
»Mein Gott«, krächzte der Hobbyfischer. »Das ist ja einer der Reporter.«
Plötzlich kam Leben in Maurice Marac. Er kletterte so heftig aus dem Boot, daß er den Steg fast verfehlt hätte. Dann aber rannte er hastig zurück.
Er rief die anderen.
»Eine Leiche, dort schwimmt eine Leiche. Seht. Es ist einer der Reporter!« Die anderen liefen ihm entgegen.
Sie schauten über den See, und ihre Gesichter wurden bleich. Saval, der Älteste von ihnen, nickte, bevor er mit leiser Stimme sprach, so daß den anderen eine Gänsehaut über den Rücken lief.
»Sie hat wieder zugeschlagen. Lydia La Grange. Auf ihr Konto gehen die Toten. Es ist schlimm…«
»Was machen wir?« wollte Marac wissen.
»Wir ziehen ihn raus.«
»Und dann?«
Der alte Saval war so etwas wie der Ältesten Führer im Ort. »Wir werden die Leiche erst einmal verstecken. Wenn sich niemand um den Fall kümmert, vergraben wir ihn.«
Maurice Marac wagte zu widersprechen. »Aber man wird den Mann vermissen.«
»Wir haben nichts gesehen«, sagte der Alte. Er deutete über den See auf die Insel hin. »Sie soll verflucht sein, die alte Hexe, und uns in Ruhe lassen. Mehr wollen wir gar nicht. Ich möchte nur wissen, wer den Reportern die Geschichte von der Alten erzählt hat. Ich war es nicht.«
Die anderen Männer hoben die Schultern, obwohl Maurice Marac ein schlechtes Gewissen bekam, denn er hatte für hundert Franc ausgepackt. Das war viel Geld, und Marac hatte eine Frau und drei Kinder zu ernähren.
Saval stieß ihn an. »Los, Maurice, hol eine Stange. Wir hieven den Toten an Land.« Er stieß einen anderen Mann ebenfalls an. »Du hol eine Plane. Es braucht nicht jeder zu sehen, wen wir da aus dem See gefischt haben.«
Als die Männer gingen, schaute der alte Saval noch einmal zur Insel hinüber. »Irgendwann«, murmelte er, »wird auch dich der Teufel holen, Lydia La Grange. Und ich werde dabei das Höllenfeuer anheizen. Darauf kannst du dich verlassen.«
***
Wir erwischten die erste Fähre. Es war gerade hell geworden, als ich in Le Havre meinen Bentley vom Schiff rollen ließ.
Jetzt hatten wir noch einige Meilen vor uns, um zu unserem Ziel zu gelangen.
Ich lenkte, Bill saß neben mir und hatte die Karte auf den Knien liegen, während es sich Suko und Tom Jeffers im Fond bequem gemacht hatten.
Der Chinese schlief. Er besaß eine beneidenswerte Mentalität. Vor den heißesten Einsätzen konnte, er die Augen schließen und Kräfte sammeln, um beim Start voll da zu sein.
Die nächste Station hieß Rennes. Diese Stadt war das Tor zur Bretagne, dieser wildromantischen Landschaft.
Die Straßen waren leer, und der Wettergott hatte mit uns ein Einsehen. Nur ein steifer Wind fegte über das Land. Doch der machte einem Bentley nichts aus.
Von Rennes aus hatten wir rund hundert Kilometer Landstraße zu fahren. Die Straße war sehr gut ausgebaut, und wir kamen fast so schnell voran wie auf unseren englischen Motorways.
Auf halber Strecke tankte ich. Bill, der etwas besser französisch sprach als ich, erkundigte sich beim Tankwart nach den Wetteraussichten.
Der Mann, ein schielender Schnauzbart, wie einem Stan-Laurel- und Oliver-Hardy-Film entnommen, schaute Bill an und trotzdem an ihm vorbei. »Ich bin nicht Petrus und mache das Wetter nicht«, murmelte er vor sich hin.
Über das Trinkgeld freute sich der Mann.
Von der Ferne schon sahen wir den See. Das Wasser schimmerte bleigrau. Die roten Dächer der am Ufer liegenden Steinhäuser hoben sich wie bunte Tupfer dagegen ab. »Evre du Lac ist übrigens der einzige Ort am See«,
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