0047 - Der Alptraum-Garten
aufmerksam.
»Verdammt, das kommt von der Insel«, sagte er.
»Und steuert dem Ufer entgegen.«
Wir schauten uns an, und es war klar, daß wir beide das gleiche vorhatten.
»Das schauen wir uns mal aus der Nähe an, wenn es angelegt hat«, sagte ich. »Außerdem bin ich gespannt, wer den Kahn steuert.«
»Das ist bestimmt der Diener, der hier einmal im Monat einkauft«, erklärte Bill. »Aus dem wirst du wohl nicht viel herausbekommen.«
»Abwarten.«
***
Die Frau trug das dunkle Kleid hochgeschlossen. Wie in Marmor gehauen wirkte ihr schmales Gesicht, das von schwarzen, streng zurückgekämmten Haaren umrahmt wurde, die wiederum im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden waren. Lydia La Grange sah aus wie eine große Dame aus den Filmen der vierziger Jahre. Das schmale asketenhafte Gesicht blieb fast immer unbewegt, ebenso die Augen mit den rabenschwarzen Pupillen. Die ebenfalls dunklen Wimpern berührten fast die Gesichtshaut. Den weißen Kontrast bildeten die Knöpfe auf dem Kleid. Sie wirkten wie eine von oben nach unten laufende Perlenkette. Das Kleid umspielte schmale Beine, und die Füße waren in hochhackigen Schuhen versteckt.
Das Alter der Frau ließ sich schwer schätzen. Es lag irgendwo zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig.
Auch die Einrichtung der Räume paßte zu der Frau. Die Möbel stammten aus England. Das Mahagoniholz schien ein Eigenleben zu führen, je nachdem wie das Licht auf die einzelnen Stücke fiel, änderten sie ihre Farbe.
Doch meistens war es dunkel in den Räumen des geheimnisvollen Hauses. Zur Beleuchtung dienten Kerzen. Sie standen überall verteilt und wurden von Jean, dem Diener, angezündet und gelöscht.
Madame, wie sich Lydia La Grange von ihrem Lakaien nennen ließ, hielt sich meist in ihrem privaten Zimmer auf, das eine Mischung aus Bibliothek und Arbeitszimmer darstellte. Arbeitszimmer deshalb, weil sie hier modellierte. Sie war eine perfekte Bildhauerin, und unter ihren langen, geschickten Fingern entstanden die eindrucksvollsten Figuren. Wenn ihre Hände den weichen Ton spürten, dann war Madame in ihrem Element, dann formte sie Figuren und Gegenstände, und es waren vor allen Dingen die Figuren, die sie immer faszinierten.
Sie hatte Ebenbilder der Historie entstehen lassen. Krieger, Männer und Frauen, die vor Jahrhunderten gelebt hatten und unter ihren Händen als Denkmäler wieder entstanden waren. Lydia La Grange hatte eine Begabung, die schon mit dem Wort genial zu bezeichnen war. Vor Jahren hatte es aber ein Ereignis in ihrem Leben gegeben, das alles umwarf.
Zuerst war ihr die Gestalt nur im Traum erschienen. Ein riesiges Skelett mit einem schwarzen Totenschädel, in dem ein weißes Augenpaar leuchtete.
Das Skelett hatte sich als der Schwarze Tod vorgestellt und gefragt, ob sie für ihn arbeiten wollte.
Lydia La Grange, der geheimnisvollen Seite des Lebens schon immer zugetan, hatte zugestimmt.
Und das Skelett erschien ihr wieder. Diesmal nicht im Traum, sondern in Natur. Deutlich erinnerte sich Lydia an jedes Wort des Gesprächs, als wäre dies erst vor einem Tag gewesen.
Der Schwarze Tod, in seinem dunklen wallenden Umhang, hatte vor ihr gestanden und sie gefragt, ob sie eine naturgetreue Abbildung von ihm anfertigen wollte.
»Ja«, hauchte Lydia.
Da verzog sich das häßliche Gesicht zu einer grinsenden Fratze. »Ich wußte, daß du mir dienen willst, und du brauchst es auch nicht umsonst zu tun. All die Figuren in deinem Park, die du und deine Vorfahren im Laufe der Zeit gesammelt haben, werden lebendig, um dich und dein Werk vor dem Bösen zu schützen. Das ist mein Preis für deine Arbeit. Und nun mache dich ans Werk!«
Mit Eifer hatte sich Lydia La Grange auf die Arbeit gestürzt. Sie vergaß alles um sich herum, und unter ihren Händen entstand das Meisterwerk.
Der Schwarze Tod!
Dann kam er selbst, um die Arbeit zu bewundern. Er war voll des Lobes und sagte zu ihr: »Auch ich habe meinen Preis gezahlt. Mache die Probe.«
Lydia vertraute den Worten. Sie lockte einen jungen Mann auf die Insel und konnte selbst miterleben, wie die Figuren zu einem unheimlichen Leben erwachten und den Besucher töteten. Dann warfen sie ihn ins Wasser.
Von nun an diente die Frau nur dem Dämon. Durch das gefertigte Ebenbild besaß sie eine magische Verbindung mit ihm, so daß er zu ihr sprechen konnte, wann immer er und sie es wollten.
Sie redeten meistens nachts miteinander, sprachen über schaurige Welten, in denen das Böse regierte, und die von
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