0047 - Die Geisterfürstin
verrückte Drehbewegung auf.
Boden unter den Füßen!
Endlich!
Boden, der nachgab.
Sand…
Zamorra schlug schwer hin. Doch er öffnete die Augen wieder. Alles kreiste um ihn herum.
Eine Sonne. Eine hell brennende, glasende Sonne. Sie stand in einem unwahrscheinlich blauen Himmel.
Sand zwischen den Fingern und knirschend im Mund.
Zamorra schüttelte den Kopf wie ein schwer angeschlagener Boxer, doch allmählich konnte er sich auf seine fünf Sinne wieder verlassen. Er konnte wieder deutlich sehen.
Demnach waren sie in einer Kuhle zwischen Sanddünen gelandet.
Sie! Ja. Wirklich sie alle drei!
Bill Fleming rappelte sich unweit von ihm soeben hoch und hatte etwas im Blick, einen Ausdruck des Nichtverstehens wie ein Geistesgestörter.
Nicole lag. Sie bewegte sich nicht. In ihrem Tweedkostüm lag sie im Wüstensand. In dieser Aufmachung passte sie in die Umgebung wie ein Eskimo in einen Sudannegerkral. Einer ihrer schmalhackigen Pumps lag neben ihr. Jetzt regte sie sich. Also hatte auch sie die Reise ins Ungewisse überstanden.
Zamorra stand schwankend auf.
»He, Bill«, sagte er, doch seine Stimme war nur ein mühsames Krächzen, »gut überlebt?«
»So was Schwieriges kannst du mich frühestens in zehn Minuten fragen«, gab Bill ebenso mühsam zurück. »Im Augenblick fühle ich mich noch wie nach einer dreijährigen Folter. Schau mal nach: hab’ ich noch alle Glieder? Ich spüre sie nicht mehr.«
»Ich kann dich beruhigen. Du siehst intakt aus. Nur deine Khakihosen sind etwas verrutscht. Wenn Nicole aufwacht, fällt sie sofort wieder in Ohnmacht.«
Bill sah an sich hinunter. Die Hosen hingen auf Halbmast. Ungefähr bei den Knien. Schnell riss er sie hoch.
»Ich habe abgenommen auf diesem Trip«, sagte er, und jetzt spätestens wusste Zamorra, dass auch der Freund okay war. Er hatte seinen Humor wiedergefunden.
Sie kamen zusammen bei Nicole an. Sie räkelte sich wie nach einem langen Schlaf. Der Saum ihres Rockes rutschte dabei in höhere Sphären, dabei wurden beide Männer gewahr, dass Nicole nicht zu den Anhängerinnen der Strumpfhosenmode gehörte, sondern auf die Wirkung eines gediegenen herkömmlichen Strapses setzte. Und wenn Nicole sich in dieser Weise gürtete, dann war das ein sicheres Zeichen dafür, dass Strapse bald wieder en vogue sein würden. Nicole hatte einen untrüglichen Riecher für kommende Moden.
»Hübsche Beine«, schniefte Bill und machte mit dem Rocksaum genau das Gegenteil von dem, was er vorher mit seiner Hose gemacht hatte.
Nicole erwachte mit flatternden Augenlidern. Zamorras Zorn war verraucht. Es war ihm aufgegangen, aus welcher Motivation heraus seine Sekretärin so gehandelt hatte. Freuen konnte er sich trotzdem nicht darüber.
Weil es viel zu gefährlich für sie hier werden würde. Sie war der fremden Umgebung hilflos ausgeliefert, wobei Zamorra noch nicht einmal wusste, ob er wirklich am Ziel seiner Wunschvorstellungen angekommen war.
Im Zweistromland des Jahres sechstausend vor Christus…
***
Zamorra und Bill halfen Nicole gemeinsam auf die noch etwas wackeligen hübschen Beine. Sofort versanken Nicoles Schuhe bis zu den Knöcheln im Sand. Als Zamorras Sekretärin ihre Beine befreit hatte, waren die Schuhe verschwunden.
»Iiih, ist das heiß!«, waren ihre ersten Worte, als sie ihre bestrumpften Füße auf den Sand setzte. Es musste gegen Mittag sein, und es war heiß wie in der Hölle. Der Sand brannte.
»Niemand hat dich eingeladen«, sagte Zamorra lakonisch und nicht ohne Tadel in der Stimme.
»Wo sind wir eigentlich?«, lenkte Nicole geschickt ab und wurde zugleich praktisch.
»Wenn wir Glück haben, in einer Welt ohne Dior, 5th Avenue und Chanel Nr. 5«, sagte Zamorra. »Ich schätze, wir sind am Rande des Zweistromlands gegen Ausgang des 6. Jahrtausends vor Christus.«
»Hu?«, machte Nicole und wirkte rührend in ihrer unwissenden Hilflosigkeit. »Willst du mich erschrecken, Chef? Willst du mich für meine Treue strafen?«
Zamorra antwortete nicht. Er warf nur Bill einen auffordernden Blick zu. Er hatte die Gabe, schwerwiegende Sachverhalte in amerikanischer Unbekümmertheit naturgetreu und dennoch mit Witz zu verdeutlichen.
»Ihr Chef quasselt nicht ganz so weit an der Wahrheit vorbei«, verlautbarte er mit einem dünnen Grinsen, das ihm nicht ganz leicht fiel. »Ich neige zu der Ansicht, dass er wie meistens Recht hat. Die Reise, die wir hinter uns haben, und besonders deren Randerscheinungen sprechen sehr dafür, dass wir erstens im Orient
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