0047 - Die Geisterfürstin
einst auch Leonardo de Montagnes Alchimistenküche befand oder seine magische Kammer, wie sie von Professor Zamorra auch genannt wurde.
Sie kamen in einen kreisrunden Raum, der mit mittelalterlichen Gerätschaften und uralten Büchern voll gepfropft war und der ein wenig an einen entsprechenden Raum in einem überfüllten Museum erinnerte.
Doch der Schein trog.
Von diesem Raum aus hatte einst schon Leonardo de Montagne, Zamorras großer Ahnherr, spukhafte Fäden gesponnen, die ihn mit den Welten der Geister und Dämonen verwoben, ihn einbanden in ein Weltbild, das nicht dem irdischen entsprach. Zamorra war in die Fußstapfen des weißen Magiers getreten. Sein Mut, seine unverbrüchliche Menschenliebe und das silberne Amulett befähigten ihn dazu.
Er nahm drei der sechs Fackeln aus den eisernen Halterungen und steckte sie an.
Das Buch Yves St. Laurents hatte Zamorra nicht mit in diese Gruft zu nehmen brauchen. Doch er hatte sich ein Zeichen eingeprägt.
Das Zeichen, das in die Vergangenheit wies…
Aus einer roten Phiole spritzte er tropfenweise dieses Zeichen auf die Marmorfliesen der magischen Kammer.
Ein Kreis im Durchmesser von zwei Armlängen. Links daneben eine gezackte Linie wie von einem Blitz gezogen, der vom Nachthimmel auf die Erde herunterfährt. Unten einen Halbmond, dessen Spitzen vom Kreis wegwiesen. Rechts ein Spiegelbild des linken Zeichens und darüber eine Zeichnung, die an die Konturen einer fernöstlichen Pagode erinnerte.
»Stell dich in die Mitte des Kreises«, sagte Zamorra mit vibrierender Stimme, die verhieß, dass auch er aufgeregt war. Auch Zamorra war nur ein Mann mit Nerven. Natürlich war er gespannt auf den Ausgang des Experiments. Die Spitze des Pagodendachs wies haargenau nach Osten.
Bill tat, wie ihm geheißen. Zamorra folgte ihm. In seinen Augen funkelte ein fanatischer Glanz. Zumindest schien es so im Licht der drei Fackeln.
Zamorra riss gerade ein Streichholz an, um es an die ausgesprühten Tropfen zu halten, als aus dem Gang laut das Klappern von Damenschuhen widerhallte. Ein Klappern, das sich schnell näherte. Nicole konnte nur mehr wenige Meter entfernt sein. Wahrscheinlich hatte sie sich nachgeschlichen und dann gelauert, bis die magische Handlung ihrem Höhepunkt zustrebte.
Dem Professor entfuhr ein unfeiner Fluch, bei dem er nur mehr die letzten Silben zerbeißen konnte.
Dann stand Nicole mit hochrotem Kopf auch schon im Raum.
Geistesgegenwärtig sprang sie auf die beiden Männer zu, klammerte sich an Bill. Dabei stieß sie gegen Zamorras Hand, die immer noch das brennende Streichholz hielt.
Es entfiel ihm und landete genau auf den Tropfen der Flüssigkeit.
Die fingen mit einem fauchenden Laut sofort Feuer. Das Zeichen loderte als Flammenwand hoch auf, schloss die drei Menschen ein wie ein Käfig.
Zamorra konnte nicht mehr schimpfen, noch sonst irgendwelche Unmutsäußerungen von sich geben. Er hörte gerade noch den spitzen Schrei Nicoles und einen brummenden Laut von Bill, dann legte es sich wie ein glühender Ring um seine Brust, der ihm den Atem nahm. Er fühlte den Boden unter seinen Füßen schwinden, fühlte sich hochgerissen.
Die Umgebung der magischen Kammer verschwand vor seinen Augen, zerfloss zu einem verwaschen rostroten Brei, der immer mehr vor ihnen zurückwich. Bill und Nicole waren zu schemenhaften Gestalten verzerrt, wie Nebel mit durchscheinenden Umrissen.
Das seltsame Gefühl, er würde nach oben fallen, verstärkte sich noch mehr, als würde die Fallgeschwindigkeit sich erhöhen.
Er wusste nicht mehr, ob er atmete, ob er überhaupt noch lebte. Sekunden vergingen, Ewigkeiten gleich. Zeitlos war der Raum, in dem sie schwebten, immer schneller schwebten, schließlich dahinrasten.
Es summte in Zamorras Ohren, der Raum um sie herum wurde dunkler, entwickelte sich immer mehr zu einem Violett hin, aus dem glitzernde Lichtpunkte gleißten, so hell, dass es den Augen weh tat.
Zamorra schloss sie. Das schmerzhafte Gleißen blieb. Eine Art Luftwirbel, ein Sog, erfasste sie, ließ sie kreiseln wie ein von der Peitsche getriebenes Kinderspielzeug. Zamorra wurde es schwindelig, Übelkeit stieg aus seinem Magen hoch, blieb in der Kehle stecken.
Zamorra schluckte qualvoll. Lange hielt er diese Tortur nicht mehr durch.
Lange?
Was war schon Zeit in diesem Zustand?
Wie mochte es den anderen gehen?
Zamorra nahm sie nicht mehr wahr. Sie waren seinem Blickkreis entschwunden.
Dann plötzlich – von einer Sekunde zur anderen – hörte diese
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