005 - Nachts wenn die Toten kommen
Verbrennung erlitten, die ihn kampfunfähig
machte, und jetzt suchte er eine Stelle, um sich vor seinem Gegner zu
verstecken? Ein hervorragendes Versteck bot die Ruine. Schwarz und drohend,
unheimlich zeichnete sie sich hinter den schwebenden Nebeln ab. Diese Ruine –
Larry fühlte es instinktiv – war der geheimnisvolle Schlüssel zur Lösung eines
großen Rätsels. Diese Ruine aus einer fernen Zeit, aus einem fremden Land. Ein
Nachtvogel schrie aus den grauen Gemäuern und verließ mit heftigen
Flügelschlägen sein Versteck. Ein Stein fiel hart auf einen anderen. Dann war
wieder Stille. Larry näherte sich dem Zaun und schlüpfte durch eines der
zahlreichen Löcher. Das Holztor stand halb offen. Er gelangte in den finsteren
Innenhof, ohne dass sich etwas ereignete.
Im Schutz der Dunkelheit und des Gemäuers ging er zu dem Turm.
Hier irgendwo hatte sich der geheimnisvolle Schütze versteckt. Larry
drückte sich eng an das kalte, rohe Gemäuer, bückte sich dann und hob einen
Stein auf, den er weit von sich warf. Das Geräusch hallte wie ein
Pistolenschuss durch den nachtschwarzen Innenhof und klang wie Gelächter durch
die leeren, zerfallenen Zimmer, deren scheibenlose Fenster ihn schwarz und
drohend anstarrten.
X-RAY-3 hielt den Atem an. Er erwartete aufgrund des Geräusches eine
Reaktion seines unsichtbaren Gegners. Doch alles blieb still, nichts rührte
sich.
Larry schlich weiter. Er befand sich jetzt direkt vor dem Turm. Da glaubte
er, einen schwachen gelblichen Lichtschimmer wahrzunehmen, der durch das
unterste Stockwerk des einen Seitenanbaues wanderte.
Gleichzeitig bemerkte er, dass eine der dunklen, morschen Holztüren, die in
die Ruine führten, weit offen stand.
Larry huschte auf den Eingang zu und starrte den langen Gang entlang, der
sich vor ihm ausbreitete.
Das schwache Licht war jetzt hinter einer der zahlreichen Säulen, welche
die hohe, feuchte Decke stützten. Der riesige, lange Schatten der Säule drehte
sich wie ein Uhrzeiger – dann tauchte der gelbliche Schein wieder auf.
Larry wagte kaum zu atmen. Er rührte sich nicht vom Fleck. Er war sicher
hier im Dunkeln neben der Tür. Er konnte alles sehen, ohne selbst gesehen zu
werden.
Und er traute seinen Augen nicht. Die dunkle Gestalt kam mit beinahe
feierlichen Schritten durch den langen kahlen Gang. Sie trug einen schwarzen
Umhang, der Kopf war von einer voluminösen Kapuze verdeckt.
In der Rechten hielt die Erscheinung einen Totenschädel, in dem eine Kerze
brannte. Der flackernde Schein des schwachen Lichtes zuckte über den Boden und
über die Wände.
Die Gestalt war jetzt auf Larry Brents Höhe.
Für einen Augenblick wandte sie den Kopf. Larry sah das bleiche,
angespannte Gesicht – und ein Schreck zuckte wie ein Stromstoß durch seine
Glieder.
Die Gestalt war Mrs. Boddingham!
●
Larry Brent war erschüttert. Der makabre Aufzug der ältlichen Mrs.
Boddingham berührte ihn eigenartig.
Sie erwiderte seinen Blick, und der Agent erschauerte. Der nackte Wahnsinn
leuchtete aus den Augen der Frau.
»Was wollen Sie hier, Mister Brent?« fragte sie ihn mit dumpfer Stimme, und
die Worte verloren sich in der Tiefe des langen, finsteren Ganges. »Es hatte
sich schon einmal ein Detektiv hier eingeschmuggelt. Das ist noch keine
vierundzwanzig Stunden her. Auch er wollte nicht glauben. Sie sind auch so ein
Fall, Mister Brent! Die Séance gestern Abend wurde durch Ihren Freund Hunter
unterbrochen. Der Meister hat uns eingeladen, die Geister heute Nacht noch
einmal zu rufen. Diesmal könnten Sie ein Störenfried sein. Ich bereite mich
bereits auf die Séance vor, es ist vielleicht gut, dass ich vor allen anderen
schon hergekommen bin, um mich für das Bevorstehende zu stärken.«
Ihre linke Hand kam unter dem schwarzen Umhang hervor. Das helle Metall
eines kleinen Damenrevolvers schimmerte im Licht der flackernden, verdeckten
Kerze.
Der bizarre, verzerrte Schatten des Schädels wurde überdimensional an die
Decke geworfen und bewirkte ein gespenstisches Abbild.
Sie war so in ihren Gedanken gefangen, dass ihr entging, dass auch Larry
Brent noch seine Waffe in der Hand hielt.
»Vielleicht werden wir auch Sie einmal rufen, Mister Brent«, sagte sie mit
rauer Stimme. »Vielleicht, vielleicht aber auch werden Sie im Jenseits für
immer angekettet sein, eine leidende, erbärmliche Seele, die zu gern mal die
Grenze zwischen unserer und der anderen Welt überschreiten möchte.«
Sie hob den Revolver und zielte. Larry hätte mit
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