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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.H. Keller
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wendet sie sich ab.
    Michel. Ich spüre, dass er unsichtbar zwischen uns steht.
    Warum hat er das getan?
    Ich will nur noch warten, bis Suzanne wieder eingeschlafen ist, dann werde ich zu ihm gehen.
    Suzanne richtet sich im Bett auf. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt. Sie seufzt.
    Ich beuge mich über sie, aber sie erkennt mich nicht. Auf ihrer Stirn stehen kleine Schweißtropfen.
    Mit weit aufgerissenen Augen blickt sie zur Wand. Ich brauche gar nicht mehr hinzusehen. Zu oft habe ich schon erfahren müssen, dass das, was sie erschreckt, für mich unsichtbar bleibt.
    Plötzlich höre ich ein Geräusch. Jetzt blicke ich doch zu der Wand hin. Nichts ist zu sehen. Hat nur ein Möbelstück geknarrt?
    »Da! Da ist er!« stöhnt Suzanne.
    Das Grauen steht in ihren Augen. Ihre Hände sind eiskalt.
    Minuten verstreichen. Suzanne wehrt sich gegen die Erscheinung, die nur sie allein sieht.
    Dann fällt sie plötzlich ohnmächtig in die Kissen zurück.
    Ich habe Angst. Sie ist leichenblass.
    Nein, das Herz schlägt noch. Ganz schwach spüre ich es unter meinen Fingern. Diesmal ist es noch gut gegangen.
    Der Wind heult plötzlich lauter, dann ist alles still. Totenstill.
    Suzanne liegt jetzt entspannt da. Sie ist ruhig. Gleich wird sie erschöpft einschlafen. Etwa eine Stunde wird sie jetzt Ruhe haben. So ist es sonst immer.
    Ihr Atem geht schwach, aber regelmäßig.
    Eine Stunde! Das ist genug Zeit, um Michel zu töten.
     

     

Obwohl der Mond nicht scheint, ist die Nacht hell. Millionen Sterne flimmern am Himmel. Ich schenke ihnen keinen Blick.
    Am liebsten würde ich die Augen schließen, um mich besser konzentrieren zu können. Was sollen mir die Sterne? Sie machen sich nur über unsere Ohnmacht lustig.
    Die eisige Kälte packt mich an der Kehle, und ich muss husten.
    Um mich herum ist alles still. Nur der Wind heult durch die Bäume, die gequält ächzen. Sie können sich gegen den Wind nicht zur Wehr setzen. Er schüttelt ihre Äste, als wolle er alle abbrechen.
    Mein Gott, wie kalt es ist! Und wenn ich nun unterwegs erfriere, einfach hinsinke und in tödliche Erstarrung verfalle?
    Aber mein Wille ist stark. Er zwingt mich vorwärts, ruft mich zum Kampf.
    Ich gehe schnell quer über die Felder. Bizarre Gebilde – Bäume und Büsche – strecken neben mir die Arme zum Himmel. Sie stöhnen und ächzen, und ihre Klagen vermischen sich mit dem Heulen des Windes.
    Dort ist es, das Haus von Michel. Er schläft ohne Gewissensbisse. Er ist im Warmen, wohlbehütet.
    Wenn er ahnen würde, was ihm bevorsteht, wäre es mit seiner Ruhe vorbei.
    Seine Überraschung wird mir zugute kommen. Ich kann es kaum noch abwarten. In einer Stunde muss ich wieder zu Hause sein. Dann wird Suzanne mich brauchen.
    Plötzlich fällt mir wieder der 4. Januar ein. Diesen Weg sind wir am Abend jenes Tages gegangen. Suzanne ging neben mir, das Gesicht tief in ihrem Pelzkragen versteckt. Wir waren guter Laune. Suzanne drückte sich an mich. Sie hatte ihren Arm unter meinen geschoben. Und der Wind heulte genauso wie heute.
    Der 4. Januar. Dieser Tag liegt noch gar nicht weit zurück, und doch scheint mir seitdem eine Ewigkeit vergangen zu sein.
    Ich sehe uns im Geist über die Felder stapfen. Suzanne beugt sich zu mir. Sie schreit mir ins Ohr, damit der Wind ihre Worte nicht davonträgt: »Das war eine Schnapsidee, dass er uns bei diesem Wetter eingeladen hat.« Ich öffne den Mund, um zu antworten. Ein Windstoß bringt mich zum Schweigen. Dann erwidere ich: »Er ist Junggeselle, und alle Junggesellen sind Egoisten.«
    Wir bleiben einen Augenblick stehen. Der Wind bläst so heftig, dass uns das Gehen große Mühe bereitet.
    Wir senken die Köpfe und kämpfen uns vorwärts.
    »So ein Unsinn, dass wir hingehen«, stößt Suzanne lachend hervor.
    »Aber wirklich!«
    »Sollen wir lieber umkehren?« fragt sie.
    »Das wäre Unsinn«, erwidere ich fröhlich. »Wir sind ja schon fast da.«
    Wir setzen unseren Weg fort. Meine Füße tun weh, weil sie völlig erstarrt sind.
    Es war wirklich keine sehr gute Idee von Michel gewesen, uns bei einem solchen Wetter einzuladen. Aber Suzanne wollte doch gern gehen. Was verspricht sie sich wohl von dem Abend? Und warum habe ich keinen Einspruch erhoben? Ich weiß es nicht.
    »Denkst du daran, dass wir auch wieder zurück müssen?« fragt Suzanne.
    Natürlich denke ich daran. Nun, wir werden es schon überleben. Aber es ist wirklich alles andere als ein Vergnügen.
    Der eisige Sturm lässt nicht nach. Die Bäume knarren

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