0050 - Der Stein des Satans
sich aus der Schlacht zurück, um den ›Stern des Morgenlandes‹ zu rauben.«
»Wenn sich die Chronisten da nur nicht geirrt haben!« Bill Fleming beobachtete die Gruppe aus schmalen, funkelnden Augen. »Schauen Sie es sich an, Nicole! Das ist keine Flucht – Leonardo zieht Verfolger auf sich, er schafft seinen Leuten Raum! Da drüben werden die Kreuzritter gleich zur Flanke durchbrechen! – Da! Jetzt! – Sie haben es geschafft, und ohne Leonardo wäre es ihnen nie gelungen, die Umzingelung zu sprengen.«
Nicole runzelte die Stirn.
Sie sah, dass es einem Häuflein Kreuzfahrern gelungen war, den Ring zu durchbrechen, sie sah, wie sie tief über die Hälse ihrer Pferde geduckt dahin jagten, um die Araber vom Rücken her anzugreifen. Gaspard Navarre war es, der sie führte, der Bruder Raymonds, doch das konnte Nicole nicht wissen. Ihr Blick glitt weiter – und dort, wo eben noch Achmans Krieger Leonardo de Montagne verfolgt hatten, wirbelte jetzt nur noch eine Staubwolke zwischen den Hügeln.
»Aber er kommt nicht zurück, Bill! Er reitet zum Palast des Kalifen!«
»Ja«, murmelte Fleming. »Aber wer weiß, ob er es der Schätze wegen tut? Was wird passieren, wenn Achman erfährt, dass jemand in seiner Abwesenheit den Palast angreift?«
»Er wird zurückkehren und… Sie meinen, das alles ist nur Ablenkung, ein taktisches Manöver?«
»Ich weiß es nicht.« Bill hob die Schultern. »Ich weiß nur, dass die Kreuzfahrer verloren sind, wenn nicht ein Wunder geschieht – und vielleicht bewirkt Leonardo dieses Wunder. Wer will entscheiden, wann und wie er zu dem Menschen wurde, der dann den Beinamen ›der Schreckliche‹ führte?«
»Und wir, Bill? Was sollen wir tun? Ebenfalls den ›Stern des Morgenlandes‹ suchen?«
Für einen Moment blieb es still.
So still, wie es in einem von Kampflärm widerhallenden Tal überhaupt sein konnte…
Bill Fleming grub die Zähne in die Unterlippe, und fast erschrocken wurde er sich bewusst, dass er längst nicht mehr von Traum und Vision sprach, sondern diese unheimliche Szenerie voll Hass und Blut und Tod als das hinnahm, was sie war: als Wirklichkeit.
»Wir haben keine Wahl«, sagte er leise. »Wenn wir jemals wieder aus diesem… diesem Traum erwachen wollen, müssen wir tun, was der Dämon auf dem Bild von uns verlangt hat …«
***
Mitternacht…
Zamorra war allein, als er den Wagen stehen ließ und über den schmalen Fußweg den Hügel hinaufstieg, auf dessen Kuppe sich die Ruinen der Adlerburg vom Nachthimmel abhoben. Château des Aigles – die Heimat Alban de Bayards, der zu seinen Lebzeiten genauso gegen die Mächte der Finsternis gekämpft hatte, wie es Zamorra tat. In der Gruft unter der Burg lag das Skelett des Kreuzfahrers immer noch in seinem Sarg, und das Sehwert des Feuers, jene magische Waffe, die er geführt hatte, bewachte seine ewige Ruhe.
Albans Geist aber gehörte der Dimension des Lichts, und in jener anderen Welt kämpfte er immer noch gegen das Böse…
Zamorras Hand schloss sich um das Amulett, als er auf der Hügelkuppe zwischen den halb überwucherten Mauerresten verharrte.
Zwischen den Steinquadern ballte sich die Finsternis zu schwarzen Inseln, die Kapelle, die als einziger Gebäudeteil noch erhalten war und unter der die Gruft lag, schimmerte weiß und klar durch die Dunkelheit. Damals, bei seiner ersten Begegnung mit Alban de Bayard, war der Professor in diese Gruft hinabgestiegen. Er hatte erlebt, wie sich der tote Kreuzfahrer aus seinem Sarg erhob, und er glaubte immer noch, die Worte des Geistes zu hören, die ihm den Weg in die andere Welt wiesen:
»Komm um Mitternacht auf die Burg der Adler! Wenn du mit dem Amulett viermal das Kreuz schlägst, in alle Richtungen der Windrose, und dann einen Stein zu deinen Füßen berührst, wird vor dir das Schloss erstehen, wie es früher war. Geh hinein! Im großen Saal wirst du zwölf Spiegel finden, aber nur einer dieser Spiegel zeigt dir dein Bild. Tritt hindurch! Jenseits des Spiegels beginnt die Welt, in der ich dich erwarte…« Würde Alban auch diesmal warten?
Würde er ihn führen, ihm helfen, seine Freunde wiederzufinden – irgendwo in der Tiefe der Zeit?
Und würde das Amulett überhaupt wirken, nachdem es dem gemalten Abbild auf der Brust des Dämons Leonardo de Montagne seine Kraft geliehen hatte?
Zamorra wusste es nicht. Er spürte die Wärme des Metalls, sah den reinen, sprühenden Silberglanz, doch er war seiner Sache nicht sicher. Gebannt beobachtete er den
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