0050 - Der Stein des Satans
schickte. Niemals werden sie Leonardo de Montagne den ›Stern des Morgenlandes‹ entreißen, denn ich werde es zu verhindern wissen. Ich werde ihm beistehen, meinem anderen Ich aus der Vergangenheit. Ich werde…«
»Warum?« Zamorras Stimme klang heiser. Mit jeder Faser spürte er die Gefahr, spürte den Pesthauch des Bösen, der ihn aus dem dämonischen Bild anwehte. »Warum willst du verhindern, dass der Stein zu seinem Besitzer zurückkehrt? Du hast doch jahrhundertelang auf die Möglichkeit gewartet, den Fluch zu löschen! Es war dein Ziel…«
»Mein Ziel ist die Freiheit! Ich wollte die ewige Ruhe finden, weil mir die Freiheit für immer verwehrt schien. Jetzt ist es anders! Du hast sie mir geschenkt, diese Freiheit, Zamorra! Dein Amulett gab mir die Kraft, die Ketten zu sprengen und mein Gefängnis zu verlassen. Begreifst du nicht, dass alles anders ist – jetzt, da ich nicht mehr in dieses Bild gebannt bin? Begreifst du nicht, dass der Fluch des Kalifen jetzt keine Fessel mehr für mich ist? Begreifst du nicht, was er nun für mich bedeutet?«
»Ewiges Leben«, sagte Zamorra leise. »Und ewige Ruhelosigkeit…«
Erneut gellte das teuflische Gelächter. »Ich bin ein Dämon, Meister des Übersinnlichen! Der Fluch des Kalifen Achman hat mich dazu gemacht. Wenn der Fluch gelöst wird und der ›Stern des Morgenlandes‹ zu seinem Besitzer zurückkehrt, werde auch ich zurückkehren müssen in Leonardos Körper. Und wenn Leonardo stirbt, würde ich mit ihm sterben, würde hinübergehen ins Schattenreich der toten Seelen und nie mehr auf die Welt zurückkehren können. Aber ich will leben, Meister des Übersinnlichen! Jetzt, da du mich befreit hast, will ich leben!«
Zamorra stand wie erstarrt.
Seine Gedanken jagten sich. Wie ein Brandmal war die Erkenntnis in seinem Bewusstsein, dass er einem Dämon die Freiheit geschenkt und dass das Amulett diesmal eine schreckliche Gefahr heraufbeschworen hatte. Leonardo – oder besser Leonardos Dämon – war stärker als er, Zamorra; denn Leonardo war es, der sich jetzt der Macht des silbernen Talismans bedienen konnte. Der Professor starrte auf das Amulett in seiner Hand. Hatte es für immer seine Kraft verloren? Oder versagte es nur hier, nur gegen diese eine Ausgeburt der Finsternis? Zamorras Blick wanderte zurück zu dem Bild, zurück zu den gemalten Gestalten seiner Freunde, und der Gedanke an das Schicksal, das Bill und Nicole bevorstand, schien sich wie ein glühender Nagel in sein Gehirn zu bohren.
»Gib die beiden Menschen frei, die du benutzt hast«, sagte er heiser. »Du brauchst sie nicht mehr, also hole sie zurück und…«
»Nie werde ich sie freigeben! Ich werde sie zu meinen Sklaven machen in jener Zeit, in die auch ich jetzt gehe. Und du wirst mir nicht folgen können, Meister des Übersinnlichen. Wo meine Macht beginnt, da endet die deine, denn ich trug das Amulett schon vor dir! Ich schließe das Tor hinter mir. Es gibt keine Pforte mehr in der Schranke der Zeit. Und nie siehst du deine Freunde wieder…«
Bei den letzten Worten begann Leonardos Gestalt zu verblassen.
Und nicht nur Leonardo – das ganze Bild überzog sich mit einem dunstigen grauen Schleier. Die Zelte des Heerlagers, die Kreuzfahrer, die beiden winzigen Gestalten an dem Pfahl in der Sonne das alles schien aufgesogen zu werden und verschwand. Einen Moment lang sah es so aus, als walle Nebel über der gemalten Landschaft.
Dann löste sich auch der graue Schimmer auf, und nur noch die kahle, vom Alter dunkle Leinwand war in dem geschnitzten Goldrahmen zu sehen.
Zamorra hatte das Gefühl, als würge eine unsichtbare Schlinge an seiner Kehle.
Er trat auf das Bild zu.
Seine Finger zitterten, als er die Hand hob, mit dem Amulett die graue Leinwand berührte. Aber der silberne Talisman strahlte nicht, da war kein Weg, kein Nachgeben – und Zamorra wusste verzweifelt genau, dass sich das Tor nicht für ihn öffnen würde.
Aber er musste einen Weg finden, wenn er Nicole und Bill retten wollte.
Er musste! Musste!
Fieberhaft und verzweifelt arbeiteten seine Gedanken. Es gab noch andere Tore in jene unsichtbare Welt. Er wusste es, er hatte sie benutzt, er hatte die Schwelle jener anderen Dimension schon mehr als einmal hinter sich gelassen. In Island deckten Felsentrümmer das geheimnisvolle Tor. Im Tempel des Dämonengottes Cochanoee hatten sich magische Linien an dem Punkt gekreuzt, der die Zeitschranke aufhob. Einmal war er durch einen Spiegel geschritten und…
Der
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