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0050 - Der Stein des Satans

0050 - Der Stein des Satans

Titel: 0050 - Der Stein des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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Sekundenzeiger der Uhr. Als er umsprang auf Mitternacht, hob Zamorra die Hand, beschrieb viermal hintereinander das uralte, magische Zeichen des Kreuzes. Dann bückte er sich, berührte mit dem silbernen Talisman den Steinquader zu seinen Füßen – und wieder war es wie damals, als er dies alles schon einmal erlebt hatte.
    Der Stein begann von innen her zu leuchten.
    Silbern glänzte er auf – und der Silberglanz breitete sich aus, floss über Büsche, wisperndes Gras und Mauerreste, warf seinen Schleier wie schimmerndes Mondlicht über die Ruinen. Ein seltsames Singen hing plötzlich in der Luft, ein Raunen wie von leisen, murmelnden Stimmen. Gleichzeitig bewegten sich die leuchtenden Steine, begannen zu wachsen. Wie eine Vision aus einem Traum erhob sich Château des Aigles vor Zamorras staunenden Augen, hell schimmerten Türme und Zinnen, als seien sie nicht aus Stein, sondern aus reinem Licht geformt, und nur ganz allmählich begann der Glanz zu verblassen.
    Zamorra atmete tief.
    Wieder stand er im Hof der Adlerburg, die vor Jahrhunderten in Trümmer gesunken war und die weiße Magie für kurze Zeit zu neuem Leben erweckt hatte. Wieder hörte er die leise Musik, die wispernden Stimmen, wieder nahm er das geheimnisvoll huschende Leben in den alten Mauern wahr. Leises Lachen von Frauenstimmen. Wehende Schleier auf dem Söller, eine schmale weiße Hand, die ihm zuwinkte und verschwand. Hell klang eine Fiedel auf. Und leiser, dunkel wie eine Ahnung kommenden Unheils, erzählte die Stimme des Sängers vom geschlagenen Kreuzfahrerheer und von den Seelen der toten Ritter, die übers Meer nach Avalon segeln…
    Fast gewaltsam musste Zamorra die Verzauberung abschütteln, in die ihn die Erscheinung eingesponnen hatte.
    Langsam schritt er auf das Tor der Dürnitz zu. In seiner Halterung schimmerte der eiserne Löwenkopf, den er noch in Erinnerung hatte. Seine Rechte schloss sich um das Metall, dreimal schlug er gegen das Holz – und kaum dass die dumpfen Schläge verhallt waren, schwangen die Flügel des Tores zurück wie von Geisterhand bewegt.
    In unwirklich glänzendem Kerzenlicht lag die Halle der Burg vor Zamorra. Alban de Bayard saß auf dem Hochsitz, in lang wallender Suckenie und tiefblauem Tasselmantel, einen schmalen Goldreif im dunklen, auf die Schultern fallenden Haar. An langen Tafeln tranken und lachten die Ritter. Der Fiedler sang, strich über die Saiten – und immer noch war es die dunkle, getragene Melodie der Totenklage.
    Niemand blickte auf, niemand bemerkte den Fremdling, der langsam durch die Halle auf einen der zwölf gewölbten Spiegel zuschritt. Zamorra wusste, dass sie ihn nicht sehen konnten. Schon einmal war er hier gewesen, ein unsichtbarer Gast aus einer anderen Zeit. Dies war nicht Wirklichkeit, dies war das geisterhafte Fest, das Alban und seine Getreuen seit Jahrhunderten feierten. Und dennoch war es Zamorra, als hätten sie ihn erwartet, als wüssten sie um sein Ziel in jener fernen Zeit. Vor dem Spiegel blieb er stehen, und einen Moment lang lauschte er den Worten des Sängers, die ihm wie eine Prophezeiung erschienen:
    »Da strahlte die Sonne rot wie Blut. Da starb manch edler Recken Mut. Geschlagen und verdorben zogen sie hin zum Meer. Und nimmer kehrt wieder das graue Heer…«
    Das graue Heer – waren es die Seelen der Kreuzfahrer, die irgendwo unter der Sonne eines fremden Landes in den Tod zogen? Zamorra schauerte. Er wusste, dass es eine gefährliche Reise war, die er antrat, dass es sehr leicht eine Reise ohne Wiederkehr werden konnte.
    Aber er dachte an Bill und Nicole, die irgendwo in der Tiefe der Zeit verirrt waren, er dachte an den Dämon, dessen teuflisches Lachen er noch zu hören glaubte, und seine Finger zitterten nicht, als er die Hand hob und den magischen Spiegel berührte.
    Kein Widerstand…
    Wie flüssiges Quecksilber gab die Oberfläche des Spiegels nach.
    Zamorras Hände tauchten hinein, er machte einen Schritt – und trat über die Schwelle. Vor ihm lag immer noch der Rittersaal, lag das gleiche Bild, das eben der Spiegel zurückgeworfen hatte. Aber jetzt befand sich dieser magische Spiegel in seinem Rücken, er hatte die Welt der Realität verlassen, in der die Adlerburg nur ein durch Magie beschworenes Trugbild war, und als er sich bewegte, tat er die ersten Schritte in die Dimension, in der Zeit nicht zählte und Geister, Dämonen und tote Seelen herrschten.
    Die Gestalten an der langen Tafel verblassten.
    Dunkel und klagend verklang die Fiedel, der

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