0053 - Eine Frau, ein Mörder und ich
Hals hinunter und über die Brust. Meine hochgehaltenen Arme schmerzten schon nicht mehr, aber ich hatte auch kein Gefühl mehr in ihnen. Wenn sie mir plötzlich abgefallen wären, hätte ich mich nicht darüber gewundert. Sie schienen mir ohnehin etwas völlig Fremdes geworden zu sein.
Die Scheinwerfer warfen nicht nur ein grelles Licht aus der großen Nähe, sie strahlten auch eine mörderische Glut aus.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Ich sah eine gebogene Nadel mit einem hauchdünnen Faden, der trotzdem große Zerreißfestigkeit haben mußte, flink hin und her huschen, und dann ging es los.
»Tupfer?«
»Achtundzwanzig.«
Die Schwester hielt ein Tablett hin. Der Arzt griff mit einer frisch sterilisierten Pinzette in die Wunde. Ich wunderte mich, wie er die Tupfer überhaupt wiederfand. Sie waren längst so durchblutet, daß sie sich in der Farbe überhaupt nicht von dem blutroten Fleisch der Wunde unterschieden.
Ein paar Tupfer flogen auf das Tablett. Drei Klammern hinterher. Adern wurden vernäht. Gewebe aneinandergeheftet, neue Tupfer herausgeworfen, Klammern gelöst, Zangen geöffnet.
Plötzlich war alles vorbei. In den letzten Minuten hatte ich nichts mehr gesehen außer roter Kreise und Sterne, die vor meinen Augen einen verrückten Reigen tanzten.
Ich wunderte mich, als die Stimme des Arztes auf einmal sagte: »Ich glaube, wir haben es geschafft.«
Einen Augenblick lang war noch Totenstille, dann hörte man ein deutliches Aufatmen, das durch die Männer ging, die rings um den Wagen herumstanden. Ein paar Kollegen hoben mich in meiner gebeugten Stellung aus dem Auto.
Ich war unfähig, einen Muskel zu bewegen. Phil schob mir eine brennende Zigarette zwischen die Lippen. Ich massierte meine schmerzenden Muskeln.
Phil hielt mir die Armbanduhr hin.
Wir hatten drei Stunden und zwanzig Minuten für die Operation gebraucht.
***
Kurz vor zwei Uhr mittags waren wir wieder im Distriktgebäude.
Wir aßen in der Kantine ein paar Hot Dogs und tranken eine Flasche Bier dazu.
Gegen drei saßen wir wieder im Office. Auf dem Schreibtisch türmten sich die Protokolle der Mordkommission im Fall Prieve. Wir teilten den Papierberg in zwei Hälften und machten uns jeder über eine her.
Es mag kurz vor fünf gewesen sein, als wir uns durch die Vernehmungsprotokolle, medizinischen Gutachten, Sektionsbefunde und die Aufzeichnungen der Beamten des Spurensicherungsdienstes durchgelesen hatten.
Wir informierten uns gegenseitig. Phil fing an.
»Nummer eins: das Sektionsgutachten. Der Tod der Frau ist mit absoluter Sicherheit kurz nach zehn Uhr eingetreten. Die Todesursache war — wie bereits nach der ersten Untersuchung festgestellt — eine enorm starke Überdosis von Morphium. Bei der Größe der Dosis kann sie nicht länger als zirka eine halbe Stunde vor Todeseintritt eingespritzt worden sein. Allerhöchstens eine Sunde, aber diese Zeit bezeichnet der Arzt als unwahrscheinlich.«
»Aber es handelte sich zweifellos um eine Injektion« fragte ich.
Phil nickte.
»Ja. Die Mordkommission hat zwei Injektionsstiche gefunden. Einen in der linken Vene am Ellbogengelenk und einen in der rechten Vene ebenfalls am Ellbogen.«
Ich beugte mich schnell vor.
»Was sagst du da?«
Phil sah mich ratlos an.
»Zwei Einstichstellen von den Injektionen — in beiden Ellbogengelenken. Was findest du denn besonders aufregend dabei?«
ich steckte mir eine neue Zigarette an. Langsam stieg der Rauch zur Decke.
»Nichts«, murmelte ich. »Nichts. Es ist gar nicht wichtig. Mach nur weiter!« Phil warf mir einen Blick zu, aus dem man erkennen konnte, daß ich ihm nicht ganz geheuer war. Nach einer Weile, in der er anscheinend darauf wartete, daß ich doch noch eine Erklärung für meine eigenartige Bemerkung abgeben würde, fuhr er fort.
»Protokoll eines Ermittlungsbeamten: Mrs. Prieve hat die Ärztin gegen halb zehn verlassen. Für den Besuch bei der Ärztin pflegte sie in der Regel den Bus an der Ecke der 31. Straße zu benutzen. Sie stieg regelmäßig in die Linie zur 74. Straße um. Der Ehemann sagt aus, daß sie sich bei ihren Besuchen bei der Ärztin immer sehr beeilt haben müßte, weil sie ja die Kinder zu versorgen, das Mittagessen vorzubereiten und den Haushalt zu versehen hatte. Er hält es für ausgeschlossen, daß seine Frau wegen der gleichen Sache einen zweiten Arzt konsultiert haben könnte. Auch bestreitet er entschieden, daß seine Frau vielleicht morphiumsüchtig gewesen sei. Er hätte es unbedingt bemerken
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