0053 - Eine Frau, ein Mörder und ich
Injektionsnadel in die Hand.
Der Arzt beugte sich vor. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf und reichte die Spritze über die Schulter zurück, wo sie von der Schwester in Empfang genommen wurde.
Es war eine Präzisionsarbeit, ein Muster an Zusammenspiel, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte. Schwester und Arzt schienen ein Körper zu sein, ein Gehirn zu haben, einen Verstand. Wortlos wanderten bizarr geformte Instrumente hin und her.
Nur selten wurde die Totenstille von einem gemurmeltem »Tupfer!« oder »Klammer« unterbrochen.
Ich kniete auf dem zweiten Vordersitz.
»So halten!« sagte der Arzt und drückte mir den blanken Griff eines Instrumentes in die Hand.
Ich hielt.
»Nicht so schwächlich!« fauchte er mich an. »Ziehen Sie stramm, verflucht noch mal!«
Ich zog. Dicke Schweißperlen von der Glut der nahen Scheinwerfer standen auf meiner Stirn, liefen mir durch die bald durchnäßten Augenbrauen in die Augen und brannten wie Salz.
»Halten!«
Ich bekam das nächste Instrument zwischen die Firvger gedrückt. Die Wunde wurde tiefer. Er klammerte Adern ab, schnitt mit einer fast unfaßbaren Ruhe und Sicherheit Muskelgewebe auf, tastete sich mit der großen Sicherheit des erfahrenen Chirurgen tiefer und tiefer an das Herz heran.
Hin und wieder drehte er sich um und hielt der Schwester den vorgeneigten Kopf hin. Mit einer rührenden Gebärde wischte sie ihm den Schweiß aus dem Antlitz.
Dann wandte er sich wieder der Wunde zu. Mir schmerzten die Arme vom ständigen Hochhalten, aber er mußte es auch und durfte dabei nicht einmal die Sicherheit der Hände verlieren.
Nach einer Dreiviertelstunde hatte er den Herzmuskel an der Stelle freigelegt, wo sich die Spitze des Dolches befand. Ich hatte längst kein Gefühl mehr in meinen Armen. Aber ich wünschte mir sechs Hände, um all diese Zangen und Greifer in der befohlenen Stellung festhalten zu können. Zwischen sämtlichen Fingern meiner beiden Hände hatte ich die Griffe der Instrumente festgeklemmt.
Wie ein Silberdollar groß zuckte vor unseren Augen das Stück Herz, das er freigelegt hatte. Es vibrierte in schwachen Stößen. Die Spitze des Dolches saß mitten darin. Mir schien es ein Wunder zu sein, daß das Herz überhaupt noch schlug.
Der Arzt wandte sich um. Inzwischen war der herbeigerufene zweite Arzt gekommen. Er hatte sich wortlos an die Pulskontrolle gemacht.
»Crues, sehen Sie!« sagte der Chirurg, während ihm die Schwester wieder einmal den Schweiß aus dem Gesicht wischte.
Sie beugten sich beide über die Wunde. Ein paar Wortfetzen flogen gemurmelt zwischen ihnen hin und her.
»Also gut«, sagte der Chirurg schließlich. »Wir haben wohl keine andere Wahl. Wie lange würde es dauern, wenn Sie uns ein Loch in das Dach schweißen?«
Die beiden Mechaniker zuckten die Achseln.
»Zehn Minuten bestimmt.«
»Das ist zu lange. Verdammt, soll ich ihn denn unter meinen Händen sterben lassen?«
Er hatte es ganz leise gesagt, aber man spürte diese verzweifelte Leidenschaft des Arztes. Diesen Mut zum Kampf auf Leben und Tod.
Plötzlich hob er den Kopf.
»Ein Tablett, Schwester!«
Im Nu hatte er ein blitzendes Tablett in der Hand. Er hielt es direkt über die Wunde und über meine Hände.
»Schlagt die Windschutzscheibe ein!« rief er. »Schnell und gründlich!«
Es geschah. Mit lautem Krachen splitterte das Glas. Es bedurfte großer Anstrengungen von zwei Cops, denn es war Sicherheitsglas. Aber nach zwei Minuten gähnte statt des Fensters ein Loch.
»Los, Crues!« befahl der Arzt und hob das Tablett so ab, daß kein Glassplitter in die Wunde fallen konnte.
Der Assistent legte sich flach auf den Kühler. Er schob den Kopf durch die ausgeschlagene Vorderscheibe. Es war die einzige Möglichkeit, ihm noch einen Zugang zur Wunde zu verschaffen.
»In Stoßrichtung!« sagte der Arzt. »Einen Millimeter!«
Man sah kaum, daß sich der Dolch bewegte. Dennoch machte das Herz plötzlich wilde, krampfartige Zuckungen.
»Stop!« schrie der Arzt! »Schwester! Herz!«
Sekunden später wurde dem Chirurgen eine Spritze über die Schulter gehalten. Er warf seinem Assistenten nur einen kurzen Blick zu. Dieses aufeinander eingespielte Team schien sich mit bloßen Blicken Verständigen zu können. Der zweite Arzt griff nach dem Instrument, das der Arzt gerade hielt, und nahm es für ihn in die Hand.
Die Injektion wurde gemacht. Das Herz schlug langsamer, aber gleichmäßiger. Mir lief der Schweiß in kleinen Bächen am
Weitere Kostenlose Bücher