0053 - Eine Frau, ein Mörder und ich

diplomatischem Vorgehen zumute.
    Vor dem Haus hockte ein Alter auf den ausgetretenen Stufen, die zur Haustür hinaufführten. Das Gebäude hatte sechs Stockwerke. Der Verputz bröckelte von der Fassade und ließ die schmutzigrote Ziegelsteinmauer frei.
    Wir traten an den Alten heran.
    »Wohnt in diesem Haus ein junger Mann namens George Kingsdon?«
    Ich hatte zum Glück das Bild bei mir, das mir Sarah von ihrem Bruder gegeben hatte. Ich hielt es ihm hin. Er warf nur einen kurzen Blick darauf, dann nickte er lebhaft.
    »Ja. Der Kerl wohnt in diesem Haus. Leider.«
    »Wieso leider?«
    »Weil es eine Schande für dieses Haus ist, daß so ein Strolch hier wohnt! Ich habe in meiner Jugend jeden Tag vierzehn Stunden arbeiten müssen. Und es ist mir glänzend bekommen. Ich bin dabei siebenundachtzig geworden! Jetzt tun die jungen Leute fast überhaupt nichts mehr — und sterben mit sechzig, hihihi!«
    Er fand das so witzig, daß er sich fast ausschütten wollte vor Lachen.
    »Was können Sie uns sonst noch über Mr. Kingsdon erzählen?« forschte ich.
    »Das Mister können Sie bei dem ruhig weglassen. Der ist ein Strolch und kein Mister. Wenn ich nur an die beiden Figuren denke, mit denen er immer zusammen ist! Du lieber Himmel, man sollte ein Gesetz gegen Nichtsnutze beschließen!«
    Es war schwierig, ihn beim Thema zu halten. Er wich immer wieder auf alles mögliche ab.
    »Wann waren diese beiden Männer, von denen Sie eben sprachen, das letztemal hier?«
    »Vor ’ner knappen halben Stunde«, sagte er. »Sie haben sich nicht lange aufgehalten. Sonst hocken sie manchmal stundenlang bei dem Kerl auf der Bude. Aber diesmal verschwanden sie schon nach ein paar Minuten wieder.«
    »Aber Kingsdon war nicht bei ihnen, als sie wieder gingen?«
    »Nein. Der sitzt wohl noch oben in seiner dreckigen Höhle.«
    »Okay. Vielen Dank.«
    Wir stiegen die Treppen hinan. Einen Lift gab es in diesem Prunkbau nicht. Wir keuchten ganz schön, denn sieben Treppen sind nichts für Leute, die an Lifts gewöhnt sind wie an ihr Frühstück.
    Hinter dem sechsten Treppenabsatz begann eine steile Holzstiege, die in eine dunkle Höhe hinaufführte, die man vom Fuß der Stiege her einfach nicht erkennen konnte, so stockdunkel war es hier selbst am hellichten Tage.
    Ich kletterte als erster die Stüfen hinan. Als ich in die Finsternis hineintauchte, riß ich mein Feuerzeug hervor und knipste es an.
    Die steile Stiege führte noch ein paar Stufen weiter hinan und endete dann vor einer Holztür, die in allen möglichen Farben schillerte wie ein Regenbogen oder eine Ölpfütze.
    Ich klopfte dagegen.
    Nichts rührte sich. Es blieb still. Nur von weiter unten aus dem Hause kam die keifende Stimme einer scheltenden Frau, die Ungarin zu sein schien, jedenfalls kam mir die Sprache so vor.
    Ich klopfte stärker.
    Nichts.
    »Einfach auf und hinein!« brummte Hywood.
    Ich zog meinen 38er. Ich hatte nicht die Absicht, der dritte Polizeibeamte zu werden, der in dieser mysteriösen Geschichte sein Leben zu lassen hatte. Mit einem kräftigen Stoß warf ich die Tür auf und sprang mitten in den Raum hinein.
    Unsere Vorsicht war überflüssig. George Kingsdon konnte keinem Menschen mehr gefährlich werden.
    Ein Messer steckte in seiner Brust und ragte nur noch als Griff daraus hervor. Bis zum Heft hatte man es ihm in das Herz gestoßen.
    Hywood stand schweigend neben dem Toten. Eine Blutlache hatte sich rings um den Körper des Mannes gebildet.
    »Die Halunken sind verdammt schnell«, brummte er wütend. »Sie wußten, daß wir von ihm her ihre Spur aufnehmen konnten, und haben ihn beseitigt, bevor wir uns nach seinen Komplicen erkundigen konnten.«
    »Wir müssen die Mordkommission verständigen«, sagte ich. »Vielleicht finden die Spezialisten vom Spurensicherungsdienst einen Hinweis, der uns zu den Tätern führen kann.«
    »Ich glaube nicht daran«, meinte Hywood ärgerlich. »Die Hunde sind viel zu raffiniert, als daß sie tatsächlich Spuren zurückgelassen haben könnten.«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Trotzdem müssen wir die Mordkommission benachrichtigen.«
    »Sicher. Ich werde sehen, ob ich irgendwo ein Telefon auftreiben kann.«
    Hywood stiefelte hinaus. Wir blieben vor der Tür stehen, weil wir den Spurensuchern nichts zertrampeln wollten. Die Spezialisten finden mitunter noch Sachen, wo man es nie für möglich gehalten hätte.
    Es dauerte alles in allem etwa eine Viertelstunde, bis die Mordkommission eintraf, die Hywood angerufen hatte. Der Captain