0057 - Der Höllenschlund
schaukeln.
Hier saß er immer, wenn er über ein Problem nachdachte.
Wahrscheinlich hat der Geist nur an der Stelle die Kraft, auf die Erde zurückzukehren, wo sich sein Körper befindet , überlegte er.
Aber wo befanden sich die Geister der Verstorbenen überhaupt? Was geschieht mit der Seele eines Menschen, wenn er gestorben ist? Wohin entflieht sie?
Barrow glaubte, die Antwort darauf zu wissen.
In eine andere Dimension! Vielleicht in die vierte?
Um dem Geist ein Übertreten zu ermöglichen, muss ich ein Zeitloch schaffen, eine Stelle, wo unsere Dimension in eine andere übergeht! , überlegte Jonathan Barrow.
Nervös strich er mit den Händen durch den weißen Vollbart.
Ich muss mit meiner Frau und meinem Sohn in geistige Verbindung treten. Sie werden versuchen, wieder in den Besitz ihrer Körper zu gelangen.
Dieser Wille wird so groß sein, dass sie durch ihre Kraft ein Zeitloch entstehen lassen können. Sie werden in unsere Dimension zurückkehren können!
Schließlich hielt es Barrow nicht mehr länger aus! Er erhob sich aus dem Schaukelstuhl, betrat jenes kahle Zimmer, in dem er zu meditieren pflegte.
Er wusste, dass ihm die Beschwörung die letzte Kraft rauben würde, trotzdem musste er es versuchen. Es war, als ob ihn eine fremde Macht dazu zwingen würde.
Das Verlangen, die Dimension zu sprengen, wurde unerträglich.
Der Wahnsinnige begann nun die Knochenteile auszupacken, sie zu einem Skelett zusammenzusetzen, das er dann mit Nylonschnüren festband. Zuerst kam seine Frau Ethel an die Reihe.
Wenig später lag auch das Gerippe von Charles auf dem Tisch.
Er stellte die Knochenfiguren an eine Zimmerwand, die mit seltsamen, fremdartigen Zeichen und Ornamenten bemalt war.
Den Mittelpunkt der Wand bildete ein riesiger, grauenhaft aussehender Dämonenschädel. Teuflisch starrten die grünen listigen Augen auf Jonathan Barrow, der das Monster geschaffen hatte, herab.
Das Gemälde bot ein Bild des Schreckens! Selbst der Professor konnte sich einer beklemmenden Angst nicht erwehren, wenn er zu dem Dämon aufblickte.
Ja, so musste der Höllenfürst aussehen! dachte er. Er hatte ihn nach verschiedenen Beschreibungen, die er vielen Büchern entnommen hatte, gemalt.
Barrow betrachtete mit Schaudern den klobigen, mit Schuppen und Fell bedeckten Schädel, die gewundenen Hörner, das wie zu einem Schrei aufgerissene Maul, aus dem riesige Fangzähne ragten.
Er war der Herrscher der Totendimension!
Jonathan scheute sich nicht, sich mit dem Dämon einzulassen, um Ethel und Charles wieder zu sich auf die Erde zu holen. Er wollte sie dem Teufel wegholen, koste es, was es wolle.
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als er sich an den runden Holztisch setzte, das Licht löschte und zwei Kerzenstummel entzündete.
Er stützte seinen Kopf in die Hände und begann zu meditieren.
Barrow hörte und sah nichts mehr. Er konzentrierte sich voll und ganz auf Ethel und Charles.
Der Professor hatte die Augen geschlossen, presste die Lider fest zusammen. Farbige Pünktchen begannen vor seinen Augen zu tanzen, wechselten sich mit verschiedenen Farben ab.
»Ethel!« Seine eingetrockneten Lippen formulierten stockend das Wort. Dann rief er den Namen seines Sohnes.
Barrow hörte sich nicht sprechen. In seinen Ohren hatte das Blut zu rauschen begonnen, wie die Brandung am Meer. Er hörte auch nicht sein Herz immer heftiger gegen die Rippen pochen.
Vor ihm tauchten plötzlich Ethel und sein Sohn auf. Lebendig, in ihrer natürlichen Gestalt. Sie tanzten langsam, wie in Zeitlupenaufnahme, über eine bunte Wiese.
Bilder von gestern!
Für Sekundenbruchteile fühlte sich der alte Mann unsagbar glücklich.
Sein Unterbewusstsein gaukelte ihm Erinnerungen plastisch vor.
»Ethel, kannst du mich hören? Bist du da?«, keuchte er.
Jetzt drang wie aus weiter Ferne seine Stimme zu ihm, er hörte sich sprechen.
Die Worte kamen ihm ungeheuerlich laut vor, wie Kanonenschüsse peitschten sie durch das stille Zimmer.
Plötzlich rumorte es im Haus. Irgendwo stürzte ein Stuhl um, die Skelette wurden wie von unsichtbaren Fäusten durchgerüttelt, schepperten mit den Gebeinen.
Ja, Ethel Barrow hatte die Stimme ihres Mannes vernommen!
***
Frank Coburn schreckte aus dem Schlaf hoch. Er hatte tief und fest geschlafen. Mit einem Mal war er hellwach.
Er richtete sich im Bett auf, blickte sich im dunklen Zimmer um, lauschte.
Nichts, keine Bewegung, kein Geräusch.
Neben ihm lag seine Frau. Sie schlief tief und fest. Frank
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