0059 - Hexenverbrennung
Janes Fußabdrücke sehen. Sie war weder vorwärts noch rückwärts gegangen, und seitlich von ihr hatten wir beide gestanden.
Es gab nur eine Erklärung für ihr Verschwinden.
»Die Hexen haben sie in die Vision hineingezogen und tatsächlich in eine andere Zeit versetzt«, sagte ich tonlos.
»Dann müssen wir sie zurückholen!« Suko platzte fast vor Tatendrang. Es war nicht seine Stärke, abzuwarten und den Dingen freien Lauf zu lassen.
Zehn Minuten später allerdings sahen wir ein, daß wir nichts anderes machen konnten. Ich hatte alles ausprobiert. Das silberne Kreuz hatte Jane ebensowenig zurückgebracht wie die Gnostische Gemme. Ich hatte sämtliche Beschwörungen gemurmelt, die mir einfielen, während Suko das Haus durchsuchte. Hinterher waren wir so schlau wie vorher. Und Jane blieb verschwunden.
»Komm, es hat keinen Sinn«, sagte ich niedergeschlagen zu meinem chinesischen Freund. »Im Moment können wir nichts für sie tun.«
Er fügte sich zähneknirschend. Es fiel uns beiden nicht leicht, den verwilderten Garten zu verlassen, aber, es mußte sein. Hier kamen wir nicht weiter. Suko kramte aus Janes Plastiktüte das zweite Fleischstück heraus, das sie vorbereitet hatte, und warf es dem Bluthund vor. Unbehelligt kamen wir auf die Straße hinaus und stiegen in meinen Bentley.
»Wo finden wir Jane…«, setzte Suko an.
Das Funkgerät unterbrach ihn. Ich meldete mich und hörte schweigend zu. Ich sollte mir einen Ermordeten ansehen.
»In einer Villa in Kensington«, berichtete ich Suko, als ich bereits startete und wendete. »Ein alter Mann in einem Haus, in dem es angeblich Hinweise für dämonische Kräfte gibt.«
»Was hat das mit Jane zu tun?« rief Suko und schlug mit der Faust auf das Armaturenbrett, daß ich schon befürchtete, er würde den Bentley auseinandernehmen.
»Vielleicht gar nichts.« Ich zuckte mühsam beherrscht die Schultern. »Vielleicht sogar sehr viel! Denk doch daran, daß jemand ermordet werden soll, um Mara zu belasten. Sie hat es in einer Vision gesehen.«
Wir unterhielten uns nicht weiter während der Fahrt. Die Sorge um Jane Collins schnürte mir den Hals zu, und Suko erging es sicher nicht anders.
Die Villa in Kensington fanden wir auf Anhieb. Mehrere Streifenwagen und die Wagen der Mordkommission hielten vor dem Haus. Die Männer standen jedoch nur herum und unternahmen nichts.
Ich fuhr den Bentley an den Straßenrand und stieg aus. Zwei Kollegen berichteten, daß Nachbarn einen fürchterlichen Schrei gehört und danach den Toten in seinem Wohnzimmer gefunden hätten.
»Gehen wir zunächst zu dem Toten«, sagte ich zu Suko und lief die steinerne Treppe hinauf. In der Halle waren die Männer der Spurensicherung am Werk, aber sie hielten sich auffallend zurück. Darauf konnte ich mir noch keinen Reim machen. Ich fragte sie nicht, weil ich mir selbst alles erarbeiten wollte. So hielt ich das immer.
Der Tote lag im Kaminzimmer. Die Einrichtung war nicht besonders, was mich wunderte. Normalerweise fand man in solchen Häusern wertvolle, geschmackvolle und kostbare Möbel. Hier war das anders. Auf mich machten die einzelnen Stücke den Eindruck, als wären sie zwar mit viel Geld aber mit wenig Geschmack zusammengetragen worden.
Dann richtete ich meine Blicke auf die Leiche. Der Mann lag auf der Seite und wandte mir den Rücken zu. Offenbar hatte noch niemand seine Stellung verändert. Ich sah weiße Haare und eine verkrümmte Gestalt. Noch konnte ich nicht feststellen, wieso meine Kollegen auf dämonische Einflüsse tippten. Ich umrundete die Leiche und prallte zurück.
»Suko!« rief ich.
Der riesige Chinese war mit einem weiten Sprung an meiner Seite. Auch er stieß einen Ruf des Erstaunens aus, als er den Toten erkannte.
Ja, erkannte, denn wir hatten diesen Mann vor kurzer Zeit erst gesehen. In einer magischen Vision!
Er war der alte, weißhaarige Mönch, der den Scheiterhaufen, auf dem Mara Lacatte stand, in Brand gesetzt hatte!
***
Rasch kniete ich neben dem Toten nieder und packte ihn an der Schulter. Die Leiche war steinhart. Ich drückte den Arm, die Haut gab nicht nach. Ich befühlte das Gesicht. Es war wie versteinert, obwohl es noch immer die natürliche Farbe besaß. »So ist das, Sinclair«, sagte eine mir entfernt bekannte Stimme in diesem Moment.
Ich blickte auf und sah einen Arzt, der schon ein paarmal mit unseren Mordkommissionen gearbeitet hatte. Ich konnte mich im Moment allerdings nicht an seinen Namen besinnen, und er nannte ihn nicht.
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