006 - Die Schuld des Anderen
einem älteren Mann, der gerade mit einer starken Lupe eine Autotypie untersuchte.
Die Arbeitsstunden hier waren ganz unregelmäßig. Brown richtete es stets so ein, daß die mit rechtmäßiger Arbeit beschäftigten Leute ebenfalls an ihren Pulten saßen, wenn die kleine Notenpresse in Betrieb war. Auch Helders Zeitschrift ›Die Warnung‹, die hier gedruckt wurde, hatte einzig die Aufgabe, dem ganzen Unternehmen den Anstrich eines harmlosen, normal arbeitenden Betriebes zu geben.
Außer Brown und seinem Chef gab es nur noch zwei Eingeweihte. Einer davon war der Drucker, der vormittags in einer anderen Stellung arbeitete. Er war ein verschwiegener Mann, auf den man sich verlassen konnte -Helder hatte ihn mit größter Umsicht ausgewählt. Um den zweiten dagegen machte sich Tiger Brown zur Zeit große Sorgen.
Brown saß schon eine Weile wieder in seinem Büro, als leise an die Hintertür geklopft wurde. Diese zweite Tür führte direkt in einen Schuppen und von dort ins Freie. Brown drehte das Licht aus und schloß vorsichtig auf.
»Schon gut, ich bin’s!« Es war Helder. Er trat ein und schloß die Tür. »Haben Sie bis jetzt gedruckt?«
»Vor zehn Minuten sind wir fertig geworden«, antwortete Brown.
»Sehen Sie zu, daß Sie noch heute nacht alles wegschicken können!«
Helder war äußerst aufgeregt und nervös.
»Was ist denn los?« fragte Brown ärgerlich.
»Ich weiß es selbst nicht genau - ich werde das Gefühl nicht los, daß mir jemand auf Schritt und Tritt folgt.«
»Dann ist es ausgesprochen blödsinnig, daß Sie ausgerechnet hierherkommen!« fuhr Tiger Brown respektlos auf.
»Ich mußte aber noch heute abend mit Ihnen sprechen«, sagte Helder hastig. »Brown, die Sache wird im höchsten Grade brenzlig. Verbrauchen Sie so schnell wie möglich alles vorrätige Notenpapier, und vernichten Sie dann die Platten. Wir müssen die Druckerei hier schließen, verstanden?«
Brown nickte. Offensichtlich fiel ihm ein Stein vom Herzen. »Je eher, desto besser! Wir haben schon viel zu lange gewartet. Seit Iwan verhaftet worden ist, brennt mir der Boden unter den Füßen.«
»Verhaftet?« wiederholte Helder. »Warum ist er verhaftet worden? Und wann ist das passiert?« Sein Gesicht war kreidebleich geworden, seine Hände zitterten. »Wenn er die Klappe nicht hält, sind wir verloren. Und es sollte mich wundern, wenn ihn Gold nicht zum Sprechen bringt! Wo ist er?«
»Woher soll ich das wissen? Glauben Sie vielleicht, ich sei so dämlich, in den verschiedenen Polizeigefängnissen nachzufragen? Was seine Schweigsamkeit betrifft, können wir ziemlich beruhigt sein. Reden tut er eigentlich nur, wenn er besoffen ist - und zu einem Rausch wird ihm die Polizei ja wohl kaum verhelfen.«
»Warum haben Sie mich nicht benachrichtigt?« fragte Helder und fluchte leise. »Jetzt können wir nur hoffen, daß Iwan dichthält - vielleicht kommen wir noch einmal mit einem blauen Auge davon. Glücklicherweise ist die Polizei halb davon überzeugt, daß Comstock Bell mit der Geschichte zusammenhängt. Man sucht ganz Europa nach ihm ab! Und solange man hinter ihm her ist, läßt man uns hier hoffentlich in Ruhe.«
»Aber Sie müssen doch damit rechnen, daß er plötzlich wieder auftaucht«, meinte Brown.
»Ich glaube kaum, daß das geschieht.« Helder lächelte. »Der Verdacht, den ich habe, scheint sich zu bestätigen. Morgen werde ich wissen, ob ich richtig vermute. Übrigens ganz im Ernst, fast alle amtlichen Stellen in London sind der Ansicht, daß Comstock Bell mit der Falschgeldaffäre zu tun hat.«
»Was sagt man denn in London sonst noch darüber? Ich habe schon seit Tagen keine Zeitung mehr gelesen.« Helder sah seinen Komplicen erstaunt an.
»Na, das sollten Sie aber tun, mein Lieber! Die amerikanische Regierung hat…«
Er brach plötzlich ab, weil er sich überlegte, daß es eigentlich nicht klug sei, diesem Mann zu erzählen, daß eine Belohnung von einer Million Dollar ausgesetzt worden war für denjenigen, der entscheidend zur Festnahme der Falschgeldbande beitrug.
»Was hat die amerikanische Regierung?« erkundigte sich Tiger Brown, neugierig geworden.
»Sie hat eine große Belohnung ausgesetzt -«, sagte Helder gelassen, denn Brown würde es ja auf irgendeine Weise doch erfahren. »Unter keinen Umständen wird diese Belohnung aber an Personen ausgerichtet, die an den Fälschungen beteiligt waren.« Auf den letzten Satz legte er großen Nachdruck. »Das heißt, zwei bekommen die Belohnung bestimmt nicht
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