0060 - Das Kastell der Toten
fragte er keuchend.
»Nein, es geht schon!«, antwortete dieser und rieb sich die Augen.
»Schnell, bevor sie sich wieder sammeln, wir müssen die Statue umwerfen!«
Dieser Gedanke leitete das Handeln der beiden seit dem Moment, da Zamorra den vielleicht rettenden Einfall gehabt hatte.
Sie rappelten sich hoch. Die Glieder schmerzten, aber sie bissen die Zähne zusammen.
Wieder stemmten sie sich gegen den Templergott, während sich die Ritter mühsam zu erheben versuchten.
»Gleich haben wir es geschafft, Bill, lass nicht locker!«, keuchte Zamorra, der genau wusste, wie schwer sich sein Partner mit der Armverletzung tat. Doch auch Zamorra schmerzte der Streifschuss, den er durch den hinterhältigen Bogenschützen erhalten hatte.
Ihre Kleidung hing in Fetzen, die Gesichter waren dreckverschmiert.
Endlich begann Juantos abermals zu wackeln.
»Jetzt, Bill, jetzt!«, knurrte der Parapsychologe, als sich die schreckliche Statue bereits neigte.
Noch ein kleiner Ruck und wir haben es geschafft!, redete sich Bill ein. Er vergrub die Zähne in der Oberlippe, die zu bluten begann.
Sie konnten später nicht mehr sagen, wie lange es noch gedauert hatte, bis der Meergott zu Boden gestürzt war. Es krachte dumpf, als der Stein vom Sockel kippte, um unten aufzuschlagen.
»Geschafft, Bill. Wir haben es…«, wollte Zamorra noch mehr sagen, doch dann fällte ihn eine lähmende Bewusstlosigkeit wie der Schwerthieb eines wütenden Templers!
***
Nicole Duval saß auf einem der derben Holzsessel in der Sakristei der Pfarrei von Estaquiro und blickte durch einen Feldstecher, den sie sich aus dem Range Rover geholt hatte, hoch zu dem prächtigen Kastell, das statt der Ruine noch immer hoch auf dem Kalkstock prangte.
Sie konnte nichts sehen, denn dicke Tränen standen in ihren Augen. Sie hielt das Fernglas nur davor, um die Tränen zu verbergen.
»Sie weinen, Señorita?«, fragte Padre Alberto Sanchez sanft, während er eine Hand auf ihre Schulter legte.
»Nein, ich…«, wollte sie erwidern, doch Sanchez winkte ab.
»Es ist keine Schande, zu weinen, Señorita. Nicht in dieser Situation!«
»Sie weinen wohl nie!«
»Doch, ich habe schon sehr oft geweint. Ich versuchte nie es zu verbergen, weil ich zu schwach dazu bin.«
Das Gespräch verstummte. Nicole starrte wieder zu dem prächtigen Schloss hoch, nachdem sie sich die Tränen abgewischt hatte.
»Was geht da oben vor, Padre?«, fragte sie dann, um das nervenaufpeitschende Schweigen zu brechen.
»Ich weiß es nicht. Nur die Einheimischen sind mit den Geheimnissen hier vertraut. Sehen Sie sich die menschenleeren Straßen an. Alle haben sich in ihre windschiefen Hütten zurückgezogen. Vorhin standen sie noch in ganzen Gruppen, um zum Kastell hinaufzuglotzen. Ich werde nicht schlau aus ihnen!«
»Was wohl aus Zamorra und Bill geworden ist?«, murmelte Nicole mit zitternder Stimme.
»Es klingt hart, Señorita, aber machen Sie sich bitte nicht mehr allzu viel Hoffnung, die beiden wieder zu sehen. Ich…«
»Da Padre! Sehen Sie!«, rief Nicole plötzlich und unterbrach den Pfarrer von Estaquiro. Sie blickte noch einige Sekunden lang angestrengt durch das Fernglas, bevor sie es absetzte, um es dem Padre zu reichen.
Dieser nahm hastig die Augengläser ab. Er musste erst an den Okularen drehen, bis er scharf sehen konnte.
»Santa Anna! Die Templer!« Er wurde auf einmal kreidebleich im Gesicht, während er das Kreuzzeichen schlug. Nicole sah, wie sich seine Finger krampfhaft um das große Kreuz, das er an einer Kette um den Hals gehängt trug, schlossen.
Deutlich konnte man farbenprächtige Ritter erkennen, die oben auf der Burg umhereilten. Sie hatten die Schwerter gezückt, schienen irgend jemanden zu jagen.
Das Kastell war zu weit entfernt, um alle Einzelheiten wahrnehmen zu können.
Plötzlich waren die Gestalten verschwunden. Keine ließ sich mehr blicken. Alberto Sanchez gab den Fernstecher Nicole zurück. Sie spähte sofort wieder nach dem Kastell. Zäh tröpfelte die Zeit dahin.
Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Ewigkeiten.
Nicole betrachtete jetzt durch die Okulare das blaue Meer, das ruhig vor sich hinplätscherte, bis zu dem Kalkstock, gegen den unermüdlich die donnernde Brandung schlug. Im Norden kamen weiße Federwölkchen auf, die nach und nach zu dunklen, schweren Gewitterwolken wurden, die sich auf dem Firmament zusammenballten.
»Sieht nach Regen aus, Padre!«, flüsterte sie tonlos.
»Es wird ein Gewitter geben, Señorita!«, antwortete
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