0062 - Die blauen Zwerge
etwa zehn Minuten näherte sich das Rascheln von neuem. Fraudy ließ es geduldig herankommen, bis sie an einem halblauten Plumps hörte, daß der Unbekannte, wer er auch immer sein mochte, aus dem Gebüsch heraus auf den Grasboden unter dem Baum gesprungen war.
Erst in diesem Augenblick schaltete Fraudy den Scheinwerfer wieder an. Der grelle Lichtkegel erfaßte eine kleine, grauweiß bepelzte Gestalt, die auf den Hinterbeinen stand und sich die winzigen Vorderpfoten in einer erschreckten Geste vor die Augen hielt.
Die Überraschung war auf beiden Seiten groß. Als Fraudy der Gedanke kam, daß das grelle Licht dem kleinen Affen Unbehagen bereiten müsse, und den Scheinwerferstrahl zur Seite lenken wollte, riß der Mungo die Arme vom Kopf, wandte sich um und verschwand mit einem weiten Satz im Gebüsch.
Fraudy jedoch gab sich damit nicht zufrieden. Es tat ihr leid, daß sie den kleinen Kerl verscheucht hatte.
Womöglich war es derselbe, der sie am Nachmittag vor der Schlange errettet hatte. Sie begann zu rufen.
Der Mungo jedoch rührte sich erst, als Fraudy sich an ein paar Laute erinnerte, die ihr Retter heute nachmittag ausgestoßen hatte, und sie zu rufen begann: „Gägägä ... brrrr... göhgöhgöh..."
Der Erfolg war verblüffend. Als Fraudy eine Pause machte, hörte sie es von allen Seiten her rascheln.
Und kurz darauf erschienen sechs kleine neugierige und zugleich erstaunte Gesichter im engen Lichtkreis der Zeltlampe.
Fraudy streckte die Hand nach einem der Mungos aus, und der kleine Kerl kam vollends herbeigesprungen und sah Fraudy von unten herauf so drollig an, daß Fraudy zu lachen anfing.
Jemand kam von hinten heran und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Wer gibt mitten in der Nacht so seltsame Geräusche von sich?" fragte er.
Es war Mullon. Die Mungos schienen ihn nicht zu fürchten. Sie betrachteten ihn, als er in den Lichtkreis der Lampe getreten war, mit der gleichen Neugierde wie Fraudy.
„Ich habe ihre Sprache nachgemacht, um sie heranzulocken", erklärte Fraudy. „Der Scheinwerfer hatte sie verscheucht."
„Und sie ließen sich locken?"
„Wie du siehst." Einer der Mungos - derselbe, der als erster herbeigesprungen war hatte sich inzwischen vor Milligans Zelttür postiert, zupfte an dem imprägnierten Stoff und sah die beiden Menschen so auffordernd an, daß kein Zweifel daran bestehen konnte, er wolle in das Zelt hinein. „Was will er dort?"
fragte Mullon. „Ich weiß es nicht", lachte Fraudy. „Frag ihn!"
Mullon beugte sich zu dem kleinen Affen hinunter. Um so heftiger zupfte der an der Zelttür herum.
Mullon zögerte ein wenig, dann hob er die Tür in die Höhe. Langsam spazierte der Mungo ins Zelt hinein. Seine fünf Begleiter blieben draußen zurück.
Im Zelt war es finster, bis Fraudy die Lampe aufhob und hinter dem Mungo herleuchtete. Der hatte bereits in der Dunkelheit bis zu Milligans Zeltbett gefunden und stand nun etwa in Kopfhöhe vor dem Kranken. Er sah abwechselnd auf Milligan und auf Mullon, der hinter ihm hergekommen war.
Fraudy hob die Laterne so hoch, daß der Lichtschein Milligans Gesicht traf. Milligan begann sich zu rühren, und ein paar Augenblicke später schlug er die Augen auf.
„Was ist...?" murmelte er schlaftrunken und verwirrt.
„Sie haben Besuch", antwortete Mullon.
Milligan sah zur Seite und entdeckte den kleinen Affen.
„Ach ... ist das der kleine Kerl, der Mrs. Mullon heute nachmittag...?"
„Ich weiß es nicht, Milligan", sagte Fraudy. „Auf jeden Fall sieht er genauso aus."
Der Mungo war der kurzen Unterhaltung mit solcher Aufmerksamkeit gefolgt, als verstehe er jedes Wort.
Jetzt, als alle schwiegen, sprang er auf Milligans Bett hinauf und begann Milligans Hemd am Halsausschnitt auseinanderzuziehen. Dabei kamen die blauen Blattern zum Vorschein, die der Kranke auf der Haut trug. Der Mungo legte seine kleine, zierliche Hand auf eines der Krankheitsmale, sah Fraudy an und machte mit tiefer, klagender Stimme: „Uuuuuh. epep." Mullon beugte sich zu ihm nieder. „Ja, das ist schlimm" antwortete er so ernsthaft, als könne er verstehen, was der Affe sagen wollte.
Der Mungo fing an, mit den Armen zu fuchteln, und keckerte dabei. Mullon zweifelte nicht daran, daß er nicht nur Geräusche der Aufregung von sich gab, sondern auch etwas sagen wollte.
„Wer gibt mir Nachhilfeunterricht in der Mungo-Sprache?" erkundigte er sich halb spöttisch, halb verzweifelt.
Der Mungo schien zu begreifen, daß er nicht verstanden wurde. Mit
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