0064 - Die Mühle der Toten
worden.
Später rüttelte etwas an Türen und Fensterläden im Dorf. Der Wind, der naßkalt über den Fluß strich, konnte es nicht sein. An ein paar Türen pochte es. Zwei oder drei ganz Mutige wagten es, zu öffnen.
Sie sahen nichts und niemanden. Aber die Hunde verkrochen sich winselnd.
Am Morgen kam der Bürgermeister bleich und unausgeschlafen ins Rathaus. Die paar Angestellten sahen auch nicht besser aus. Bürgermeister Brissac rief seine Sekretärin in sein Bürozimmer.
Madame Gasson war eine graue Büromaus mit einem Haarknoten hinter dem Kopf. Unscheinbar, aber enorm tüchtig. Sie erledigte einen guten Teil der Verwaltungsarbeit in der Bürgermeisterei von Bresteville. Wäre sie nicht gewesen, wäre Brissac schon längst aus seinem Amt rausgeflogen.
»Maire Brissac?«
Der Bürgermeister ächzte. Er war schlechter Laune. In seinem Mund steckte ein kalter Zigarrenstumpen, an dem er kaute.
»Haben Sie vor ein paar Wochen diese Sendung über, eh, Parapsychologie im Fernsehen gesehen?«
»Ja, Maire.«
»Da war doch so eine Kapazität dabei. Ein Mann, der ein ganz großes As auf dem Gebiet sein soll. Professor Zamorra.«
»Ja, Professor Zamorra.« Die graue Maus bekam einen verzückten Gesichtsausdruck. »So ein gutaussehender und stattlicher Mann! Ich war ganz hingerissen von ihm. Und diese Ruhe und Überlegenheit, die von ihm ausstrahlte. Die Art, wie er sprach. Er verstand es, die Zuhörer zu überzeugen. Man spürte, daß sich hinter seinen Worten ungesagte Dinge verbargen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden dürfen.«
»Na, na«, sagte Brissac, der selber dick war und Hängebacken hatte. »Dieser Zamorra kann seine Schönheit auch tragen, ohne darunter zusammenzubrechen. Was war denn sein Wohnsitz? Ich habe das wieder vergessen.«
»Château de Montagne im Loire-Tal. Er ist ein Adliger, ein Schloß- herr.«
»Na und?« Bürgermeister Brissac gefiel die Schwärmerei seiner Sekretärin für Professor Zamorra nicht. »Schreiben Sie diesem schloß- herrlichen Schönling mal einen Brief, daß wir ein Spukphänomen hier haben, das er sich ansehen soll. Haben Sie sich heute morgen schon mal die Mühle auf der anderen Seite des Flusses angesehen, Madame Gasson?«
Madame Gasson hatte, so wie alle anderen Einwohner von Bresteville. Die Mühle, deren Flügel in der Nacht lichterloh gebrannt hatten, waren unversehrt. Man konnte keine Spur eines Feuers erkennen, nicht an der Mühle und nicht an den Windflügeln.
Madame Gasson wollte hinausgehen.
»Einen Augenblick noch«, sagte Brissac. »Da war noch ein Mann bei dieser Fernsehsendung mit dabei, der auf mich einigen Eindruck gemacht hat. So ein großer, finsterer Bursche mit einem Schnauzbart. Wie hieß er doch gleich? Morgand oder Morgand. Ja, Morgand. Er kam aus Paris. Sehen Sie zu, daß Sie seine Adresse ausfindig machen, Madame Gasson, und schreiben Sie ihm das gleiche wie Zamorra. Doppelt genäht hält besser, und zwei Geisterjäger sind besser als einer.«
Madame Gasson zögerte.
»Raoul Morgand und Professor Zamorra sind im Verlauf der Sendung ein paarmal aneinandergeraten. Zamorra nannte Morgand einen skrupellosen Dilettanten, und Morgand bezeichnete den Professor als einen aufgeblasenen Wichtigtuer. Wenn beide hierherkommen, könnte es Spannungen geben.«
»Na und? Konkurrenz fördert das Geschäft, Gassonine.« Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf, den nicht mehr viele Haare zierten.
»Ich will nicht unken, und ich sage das nur zu Ihnen, weil ich weiß, daß Sie es nicht lächerlich finden werden. Ich habe so ein verdammtes Gefühl, als wäre der Spuk gestern erst der Anfang gewesen. Wir werden hier in Bresteville noch die Hölle erleben.«
Brissac sagte das ganz ernst. Madame Gasson ging sehr beunruhigt ins Vorzimmer zurück. Brissac war ein eingefleischter Realist und nicht sensitiver als ein Pferd.
Wenn sogar er schon solche Vorahnungen hatte, mußte es sehr schlimm aussehen.
***
Professor Zamorras schwarzer Citroën DS 19 rollte durch das Charente-Tal mit seinen um diese Jahreszeit kahlen Weinbergen. Neben Zamorra saß Nicole Duval, seine bildhübsche Sekretärin, angetan mit einem attraktiven blauen Herbstkostüm mit weißem Kragen.
Auf dem Kopf trug sie einen ebenfalls weißen Sommerhut.
An Nicoles Ohrläppchen baumelten Perlmuttohrringe. Der Duft ihres dezenten Parfüms schwebte im Wagen. Nicole hatte diesmal schwarzes Haar und eine modische Frisur mit an der Seite gekrausten Löckchen.
Von Bill Fleming
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