0069 - Das Gericht der Toten
die Augen der Anwesenden.
Selbst Zamorra sprang zurück, als habe ihn ein giftiger Skorpion gestochen.
Gleichzeitig hörte er eine Stimme, die von allen Seiten auf ihn einzudringen schien.
»Was tust du, Wahnsinniger? Lasest du nicht der Warnung bedeutungsschwere Worte?«
Starr stand der Professor da, starr wie eine Säule aus Stein. Ihm wurde bewußt, daß es nicht seine Ohren waren die die Stimme hörten, daß die Stimme unmittelbar in seinem Bewußtsein explodierte, mit einer solch donnernden Intensität, daß er glaubte, der Kopf würde ihm zerspringen.
»Wer bist du?« formulierte er in Gedanken.
»Ich bin der Kaa Sekeres, des Hohen Priesters des großen Amon, der einst den verfluchten Pharao an Leib und Seele fesselte. Höre mich an, oh Magier aus einem fernen Land. Groß mag sie sein, deine Macht. Groß genug, den Bann zu brechen, mit dem das Gefängnis Neferptahs mich umgürtete. Aber dem Kaa des Verfluchten, einmal frei von seinen bannenden Fesseln, wird auch deine Macht nicht trotzen können. Darum sei noch einmal gewarnt. Laß ab von deinem törichten Tun, denn sonst wird Heulen und Zähneknirschen in den Reichen der Toten und der Lebenden sein. Nimm das Gefängnis des schrecklichen Königs und verbirg es dort, wo die Hände der Einfalt es aus den Steinen rissen. Laß den Berg auf ewig über Neferptah zusammenstürzen.«
Die Stimme endete so abrupt, wie sie gekommen war. Aber sie hallte noch mehrere Sekunden lang in Zamorras Gehirnwindungen nach. Nur langsam erwachte er aus der Erstarrung, in die er verfallen war, und kehrte in die Realität des Privatmuseums Seymours zurück.
»Chef, geht es dir gut?« drang die besorgte Stimme Nicoles an sein Ohr.
Audi Bill machte ein ganz komisches Gesicht, unternahm sogar den Versuch ihn zu stützen, so als fürchte er, daß der Professor jeden Augenblick zu Boden stürzen könne.
»Natürlich geht es mir gut«, sagte Zamorra. »Warum sollte es mir nicht gut gehen?«
»Du hättest dich sehen sollen, Chef«, antwortete die Französin.
»Du sahst aus wie der Tod. Richtig weggetreten warst du, so als hättest du die Schwelle bereits halb überschritten.«
Der Parapsychologe lächelte sie beruhigend an.
»Mach dir keine Gedanken, Nicole. Ich bin völlig in Ordnung.«
Er verspürte jetzt keine Neigung, den anderen von der unheimlichen Stimme Sekeres zu berichten, die zu ihm gesprochen hatte.
Schon gar nicht in Gegenwart des Millionärs. Aber er war jetzt zu einer Entscheidung gelangt. Das Risiko, weiterhin gegen den Bann des Amon-Priesters anzugehen, wollte er nicht auf sich nehmen. Der Kaa Sekeres hatte ihn überzeugt. Während des stummen Dialogs hatte er in keiner Phase die Empfindung gehabt, getäuscht zu werden. Er glaubte, was Sekeres ihm mitgeteilt hatte, zumal der Amon-Priester, aus einer anderen Dimension blickend, die Sachlage wahrscheinlich auch besser beurteilen konnte. Er, Zamorra, würde ganz bestimmt nicht der Handlanger sein, der einer bösen Macht den Weg ebnete. Er würde tun, was der Kaa des vor rund dreieinhalbtausend Jahren gestorbenen Priesters ihm bedeutet hatte.
Zamorra ließ das Amulett, das er noch immer in der Hand hielt, wieder auf seine Brust zurückgleiten. Dann blickte er dem Millionär voll ins Gesicht.
»Mr. Seymour…«
»Ja, Professor?«
»Es wird Sie nicht freuen, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe.«
»Sie meinen, Sie kriegen das Ding nicht auf?« vermutete Seymour.
Bevor Zamorra hierauf eine Antwort geben konnte, kam ihm Bill zuvor. Er stand dicht vor dem Steinsarg und sagte: »Du bekommst ihn auf, Zamorra. Der Blitz, den du da gerade gezündet hast, hat einiges bewirkt. Sieh mal hier!«
Der Kulturhistoriker legte beide Hände auf den Deckel des Sarkophags.
»Bei weitem nicht mehr so eisig wie vorher«, stellte er fest. »Und von dem Lichtschleier ist jetzt schon fast gar nichts mehr zu sehen.«
Zamorra erschrak. Mit zwei schnellen Schritten war er bei Fleming und überprüfte, was der Freund gesagt hatte.
Es stimmte. Die Berührung mit dem Amulett schien das magische Schutzschild um den Sarkophag bereits brüchig gemacht zu haben.
War der Kaa des verfluchten Pharao überhaupt noch sicher in seinem Gefängnis?
Der Professor packte den Deckel mit beiden Händen und versuchte, ihn zu verschieben. Mit einer gewissen Beruhigung konnte er jedoch feststellen, daß er nach wie vor unverrückbar war.
Seymour trat näher. »Vielleicht sollten Sie es nochmals blitzen lassen, Professor«, schlug er vor.
»Dann klappt
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