0077 - Das Phantom der Insel
bauen hier ihre Ferienhäuser, oder sie lassen sich ganz hier nieder. Aber wenn sie kaufen, bringen sie Geld auf die Insel. Die Insel wird nur durch die Fremden reich.«
»Auch die Sardinier sind fleißige Menschen«, gab der Pfarrer zu bedenken.
»Das bezweifelt niemand, nein und nochmals nein! Aber wer hier fremd ist, wird immer fremd bleiben. Lo Sardo sorgt dafür. Und wenn er uns durch seine Reden und seinen Haß nicht vertreiben kann, dann jagt er uns in den Tod.«
»Das ist nicht bewiesen, Signora.«
»Ja, ja, ja!« lachte die Frau grimmig auf. »Nichts bewiesen. Weil man alles auf diesen einen Lo Sardo schieben kann, der unsichtbar bleibt, den keiner kennt, den keiner zu fassen vermag.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Pfarrer.
»Ihr versteht mich sehr gut. Es gibt nicht nur diesen einen Lo Sardo. Tausende von diesen Sardos gibt es. Was sagt denn der Name, he? Sardo – das ist doch der Sardinier, nicht wahr? Und der Sardinier ist für euch der einzige wahre und wertvolle Mensch. Laßt mich nur ausreden! Wenn ein Spanier beim Schmuggeln erwischt wird, was geschieht mit ihm? Gebt mir eine ehrliche Antwort!«
»Ich weiß es nicht, Signora.«
»Ha! Wißt es nicht! Und wie ihr es wißt! In den Turm kommt er, ins Gefängnis wirft man ihn, eben weil er ein Spanier ist! Und wenn ein Sardinier erwischt wird, was geschieht dann, he? Das ganze Dorf weiß, wo er sich versteckt hält. Das ganze Dorf bringt ihm zu essen. Und sogar die Polizei schweigt sich aus. Sie verrät keinen, auch wenn er ein Verbrecher ist. Das ist es. Aber Marun hat ein Stück Land verkauft, weil er alt war und Geld brauchte. Und da ist Lo Sardo gekommen und hat ihn umgebracht.«
»Euer Schmerz ist zu groß«, sagte der Pfarrer. »Euer Schmerz über den Tod eures Bruders. Die Zeit wird euch einsichtig machen.«
»Die Zeit wird mich vorsichtig machen«, gab die Frau zurück.
»Auch ich werde alt, und ich weiß, welch heidnische Kunst hier auf der Insel einmal geherrscht hat.«
»Was meint ihr damit?«
»Ihr wißt auch das sehr gut«, sagte die Schwester des Toten. »Hier gab es einmal den Brauch der Greisentötung, nicht wahr? Ein heidnischer Brauch. Ein Mensch, der alt ist, darf geopfert werden. So war es einmal, in früheren Zeiten. Und nun ist Lo Sardo gekommen, und mit ihm kommen die alten Zeiten zurück. Ich fühle es.«
»Ihr redet euch das nur ein«, sagte der Priester.
Die Frau schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
Kurz darauf hörten die Leute des Dorfes, und mit ihnen der Pfarrer, wie Maruns Schwester aufschrie.
Sie war durch die kleine Gartenpforte auf ihr Haus zugegangen – auf das kleine Haus ihres toten Bruders, das nun ihr eigenes sein sollte.
Wie gelähmt vor Schreck blieb sie stehen, als sie die beiden Zeichen sah, die über der Tür gemalt standen.
Oben an der Mauer war ein großes »M« zu sehen. Es war durchgestrichen, wie die Buchstaben auf den Rücken der Toten aus den letzten Wochen.
Und unter diesem Zeichen leuchtete grellgelb ein großes »S«.
Die Nachbarn eilten auf die Schreie der Frau hin herbei.
Sie wußten sofort, was das »S« bedeutete.
Es stand für Sardo, den Geist der Sardinier! Und nun hatte er sich nicht gescheut, seinen Auftritt bei Tageslicht zu absolvieren.
Über die Bedeutung des anderen Buchstabens, der »M«, sollten alle noch tagelang im unklaren bleiben.
Und niemand ahnte, daß es ein Fremder sein würde, der dieses Rätsel für sie zu lösen hatte.
***
Professor Zamorra, der Schrecken aller finsteren Mächte, der Dämonenjäger und Parapsychologe, befand sich um diese Zeit auf seinem Château de Montagne, das über dem Tal der Loire lag.
Der Professor war, was selten vorkam, allein.
Nicole Duval, seine ehrgeizige, tüchtige wie bezaubernd schöne Sekretärin, war vor zwei Tagen nach Paris gefahren. Das hatte allen anderen Grund als den, auf ein neues gefährliches Abenteuer loszusteuern.
Sie waren nach den letzten aufreibenden Wochen und Monaten übereingekommen, ein paar Tage Urlaub zu machen.
Der Professor, der in seiner Bibliothek saß und in einem alten kostbaren Buch blätterte, hörte im Geist den kurzen Dialog mit Nicole Duval noch einmal.
»Aber wirklich nur ein paar Tage, Nicole«, hatte er gesagt.
»Eine Woche, mon cher professeur?«
»Eine Woche, gut. Und keinen Tag mehr. Ich habe hier allerhand aufzuarbeiten.«
»Und wohin geht die Reise?« war Nicoles Frage.
»Das entscheidest du, Cherie.«
»Oh!« hatte Nicole gemacht. »Sehr schön. Ich
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