0077 - Das Phantom der Insel
hielt ihn so gepackt, daß die Arme des Gegners sich auf dessen Rücken verschränkten. Alle Gegenwehr Lo Sardos blieb erfolglos.
Nur ein kurzes Nicken. Zamorra zeigte damit auf den Lappen, den er zu Boden geworfen hatte.
Da kam Marcello heran wie ein Panther.
Dicht vor Lo Sardo blieb er stehen, zögerte eine Sekunde. Er versuchte, aus den Blicken Lo Sardos zu erkennen, daß Zamorra die Wahrheit gesagt hatte.
Aber Lo Sardos feurige Augen waren zu schmalen dunklen Schlitzen geworden.
Noch immer wand er sich vergeblich unter dem harten Zugriff Zamorras. Der Professor hielt ihn so fest gepackt, daß keine Bewegung möglich war.
Dann endlich fuhr Marcellos Hand mit dem Lappen in Lo Sardos Gesicht.
Zweimal, dreimal trug er mit einer heftigen Bewegung die Maske ab, rieb den Rest von Kreide und Lehm aus dem Gesicht in den Lappen.
Dann schrie er auf. Zuerst vor Schmerz. Es war die Erinnerung an den unglaublichen Tod des Vaters.
Der zweite Schrei war der eines jungen Kriegers, der sich auf den Gegner stürzte.
Marcello trat zwei Schritte zurück, dann schnellte er erneut heran.
Wie eine Wildkatze klammerte er sich an den hünenhaften Enzio Gallega, und der Anprall war so stark, daß beide ein wenig nach hinten geschleudert wurden.
Dabei mußte Zamorra, mit einem Sprung zur Seite, seinen Griff etwas lockern.
Diese winzige Bewegungsfreiheit nutzte Lo Sardo, alias Enzio Gallega, sofort aus. Mit einem verbissenen Fluch warf er sich herum, brachte den Körper Marcellos unter sich zu liegen und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht.
Aber schon war Zamorra heran und riß ihn von dem Jungen weg.
Dabei erwische Lo Sardo das Licht, das Nicole Duval in der Hand hielt.
Im Nu hatte er den schützenden Glasbehälter entfernt. Und in der nächsten Sekunde flog das Licht mit der kleinen Flamme Zamorra entgegen.
Der Professor konnte es mit angewinkeltem Unterarm abfangen.
Es fiel zu Boden und verlöschte sofort.
Zamorra erkannte die Absicht Gallegas. Dieser vertraute auf die Dunkelheit der Nacht. Er mußte innerlich bereits aufgegeben haben.
Aber er war den Fremden in dieser halben Wildnis der Berge überlegen. Wenn er die Kerzen zum Verlöschen brachte, hielt er seinen Fluchtweg für sicher.
Aber genau das hatte neben Zamorra auch Marcello erkannt.
Er nahm die anderen Lichter, die er abgestellt hatte, vom Boden auf, gab sie Nicole und stellte sich schützend vor sie.
»Er kommt nicht heran, Professore!« rief er Zamorra zu. »Ich schütze die Signorina! Gallega gehört Ihnen!«
***
Enzio Gallega hörte die Worte und handelte sofort. Er setzte zurück, und dann war er plötzlich vor aller Augen verschwunden.
Zamorra trat bis zum Rand des Felsens. Im Schein der kleinen Lichter, die Nicole sofort heranbrachte, sah er Gallega unter sich.
Tiefer als sechs Meter. Es mußte ein todeskühner Sprung gewesen sein, den der falsche Lo Sardo gewagt hatte.
Zamorra wußte, daß er handeln mußte. Wenn Gallega in dieser Nacht entkam, würde es Wochen oder Monate dauern, bis man wieder eine Spur von ihm finden könnte. Der Sarde kannte die Insel und ihre Schlupfwinkel zu gut.
Zamorra konnte nicht springen. Er kannte die Tücken des Felsens, die Entfernungen von Vorsprung zu Vorsprung zu wenig. Nur einmal war er an dieser Seite heraufgekommen. Und er wußte, daß für jeden Bergsteiger der Abstieg immer der beschwerlichere Teil war.
Er zögerte aber nicht eine Sekunde und war schon unterwegs. Er erinnerte sich an die Mulde aus Kreide und Lehm, die sie gefunden hatten. Dort konnte man in Zickzacklinien absteigen, ohne sich der Gefahr eines Abstürzens auszusetzen.
Zamorra langte nach oben und ergriff eines der Lichter, die Nicole hielt.
Dann stieg er ab, und gleichzeitig hörte er auf jedes kleine Geräusch, jedes Klicken von Absätzen auf dem Felsgestein, das von Gallega kommen mußte. So konnte er den Vorsprung errechnen, den der Gegner hatte.
Wie ein heimischer Vogel an den Felsenküsten der Meere mußte Gallega sich auskennen und seinen Weg nehmen. Und trotzdem hörte Zamorra bald, daß er ihm näher kam. Das Klopfen und Rollen der angestoßenen Steine, das Abwärtspoltern von Geäst und Felsbrocken wurde lauter.
Dann sah Zamorra, daß eigentlich er der schnellere war. Er legte durch seine weniger steilen Strecken einen größeren Weg zurück, aber Lo Sardo konnte nicht alles wagen, wenn er nicht abstürzen wollte.
Und dann kam die kleine, fast ebenmäßig glatte Plattform. Ein Felsenstück von nicht mehr als einem
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