0079 - Das Gespensterschiff
sich erdreistete, mit heimischer Währung zu bezahlen.
Mister Benedikt steuerte den Riesenschlitten mit unerwartetem Geschick durch das Verkehrsgewühl auf der Bay-Street, weil es sich auf den Bahamas noch nicht herumgesprochen hat, daß der Straßenverkehr in der übrigen Welt bereits reglementiert wird. Die weißgekleideten Verkehrspolizisten in ihren überhöhten Gondeln auf jeder größeren Kreuzung dienen mehr folkloristischer Dekoration, weil sie sehr hübsch anzuschauen sind. Sie winken wie sie wollen, und die Autofahrer fahren wie sie wollen.
Trotzdem schaffte Mister Benedikt die zwei Meilen bis zum Flachbau der Hafenbehörde ohne in eine Karambolage verwickelt zu werden. Er fand sogar noch einen Parkplatz, was zu dieser Jahreszeit auch nicht selbstverständlich war. Die Nachsaison hatte eben mit Macht begonnen.
Mister Benedikt mußte die Mühlen der Bürokratie mit Dollars geschmiert haben, denn sie kamen durch die Instanzen gut voran und standen schneller vor dem Chef-Zimmer, als Professor Zamorra das alleine je erreicht hätte.
»Señor Rico Morelas« stand mit schwarzgepinselten Lettern an der Türverglasung.
»Come in!« schnarrte es militärisch knapp, nachdem sie bereits telefonisch angemeldet waren und die Sekretärin im Vorzimmer ihre Fingernägel bereits wieder himmelblau manikürte.
Der Mann, der ein »Señor« an seiner Tür durchgesetzt hatte, entpuppte sich als rothaariger Brite, der aussah, als wäre er eben vom indischen Kriegsschauplatz heimgekehrt. Spanisch an ihm waren nur die dunklen, bohrenden Augen, das leicht arrogante Gehabe und der Schnurrbart, den er sich seiner roten Haarpracht zum Trotz schwarz gefärbt hatte.
Er stand auf, als Professor Zamorra hinter Mister Benedikt eintrat. Professor Zamorra sah der Mischmasch-Brite gar nicht erst an. Er fixierte sofort Mister Benedikt und streckte auch noch eine Reitpeitsche gegen ihn aus. »Señor« Morelas trug Reithosen.
»Auf Sie habe ich die ganze Zeit über gewartet«, begann er das Gespräch. Und auf Professor Zamorra weisend: »Wer ist denn das?«
»Ein Hinterbliebener«, antwortete Mister Benedikt schlicht. »Er bestand darauf, mitzukommen.«
Mithin wurde Professor Zamorra in die feineren Nuancen bahamanischer Konversationspflege eingeweiht. Man ergeht sich verbal in Halbwahrheiten, und doch weiß jeder genau, was gemeint ist.
Der britische Señor musterte Professor Zamorra, und es erging ihm nicht viel anders, als den Damen in Benedikts Büro: er war beeindruckt. Anders war sein Räuspern kaum zu verstehen.
»Ähem… Professor Zamorra aus Frankreich?«
Zamorra hatte ihm seinen aufgeklappten Paß unter die Nase gehalten.
»Sie können sehr gut lesen, Señor.«
»Ähem…«
»Mister Benedikt war so freundlich, mir zu erzählen, daß die letzten Funksprüche der SEA-BELL auf Ihrem Schreibtisch wiederzufinden wären. Gehe ich recht in der Annahme, daß Mister Benedikt keine voreiligen Schlußfolgerungen gezogen hat? Wenn jemand in diesem Hafen über alles informiert ist, dann sind doch Sie das…«
Das Kompliment rutschte dem britischen Señor hinunter wie ein Löffel Honig. Er brachte sogar ein gewinnendes Lächeln zustande.
»Es ist selten, daß man auf kultivierte Ausländer trifft«, verkündete er und meinte sogar noch, was er sagte.
»Merci«, antwortete Zamorra knapp. »Was ist mit der SEA-BELL passiert?«
»Packen Sie immer den Stier bei den Hörnern?« lautete die Gegenfrage.
»Es geht nicht um einen Stier«, meinte Zamorra betont fade. »Es geht um Menschenleben. Unter anderen um das meiner Mitarbeiterin und um das meines Freundes, eines berühmten Historikers. Ist eine gewisse Ungeduld meinerseits damit hinreichend plausibel gemacht?«
Der Super-Intendant schaltete auf der Stelle um. Er hatte wohl bemerkt, daß Mister Benedikt und der andere Herr unbedingt nicht in einen Topf zu werfen waren, auch wenn sie jetzt gemeinsam in seinem Office standen.
»Was wollen Sie wissen, Professor Zamorra?«
Zamorra wollte eine ganze Menge wissen, und der Super-Intendant beantwortete jede Frage Punkt für Punkt, soweit er dazu in der Lage war. Mister Benedikt stand still daneben und schwitzte.
***
Bendikt blieb noch bei Rico Morelas. Seine Anliegen waren mehr prosaischer Natur.
Aber auch Zamorra hatte erfahren, daß weder die Schiffe der amerikanischen Coast Guard noch die der örtlichen Küstenwache etwas von Bedeutung gefunden hatten. Die vage Vermutung, daß die SEA-BELL bei den Riffs angestrandet wäre, ließ
Weitere Kostenlose Bücher