0085 - Der Feuergötze
hatte.
Baalyaton schritt die Stufen wieder hinunter und stellte sich vor dem Götterbildnis auf. Er hob den Blick und sah Baal-Hammon in die starren Augen aus feinstem Gold.
»Mächtiger«, sagte er flehend, »nimm dieses Opfer deiner Diener und Dienerinnen. Schütze dieses Heiligtum, schütze die Treuesten deiner Getreuen. Hilf ihnen, eines Tages, wenn die Zeit reif ist, Rache zu nehmen an den Verfluchten und deine Herrschaft in neugeborenem Glanz in die Welt zu tragen!«
Bange Sekunden vergingen. Angestrengt hingen die Blicke der Priester und Jungfrauen an den goldenen Augen des Gottes.
Von draußen her drang das wilde, zügellose Geschrei der Soldaten aus dem verfluchten Land herein, die näher und näher kamen. Gleich würden sie ihre alles zertretenden Stiefel auf die Stufen des Tempels setzen und ihn entweihen.
Und dann blitzte es in den Augen des Gottes plötzlich auf. Ein Leuchten brach aus ihnen hervor, das heller war als tausend Sonnen.
Die Jungfrau stürzte wie ein Stein in das ewige Feuer und wurde von ihm verschlungen.
Der Gott hatte das Opfer angenommen.
Und er hatte das Flehen des Oberpriesters erhört.
Ein dumpfes Grollen regte sich in den Eingeweiden der Erde. Die Oberfläche bebte, brach vor dem Tempel auf.
Die Stufen des Heiligtums, die die verfluchten Krieger in ihren Eisenrüstungen soeben mit mordgierig erhobenen Schwertern und Triumphgebrüll auf den Lippen erstürmten, wurden von einer Sekunde zur anderen zu pulvrigem Staub. Mit gellenden Schreien des Entsetzens stürzten die Angreifer in ein bodenloses Nichts, das sie mit Haut und Haaren verschluckte.
Gewaltige Gesteinsbrocken lösten sich von den Höhen des Bergs der Götter und stürzten polternd hinab. Vor dem Portal des Tempels türmten sie sich auf, bildeten einen undurchdringlichen Schutzwall, den die Kraft des Gottes so fest zusammenhielt, daß ihn kein Mensch durchdringen konnte.
Durch das Innere des Tempels zuckten Feuerzungen, berührten die Priester, berührten die Jungfrauen. Lähmung ergriff Besitz von ihnen, als sie auf die marmornen Steinplatten sanken. Reglos blieben sie liegen.
Aber sie waren nicht tot. Sie schliefen nur einen Schlaf, der bis in alle Ewigkeit währen konnte, wenn es dem Gott gefiel.
Stille kehrte ein. Draußen kündeten nur noch einige Staubwolken, die zum Nachthimmel emporstiegen, davon, daß der Berg den Tempel mit einem Schutzschild umgeben hatte, das ihn unsichtbar machte für die Augen der Sterblichen.
Der Tempel schlief, und seine Bewohner schliefen mit ihm. Eines Tages aber, in Jahrhunderten oder Jahrtausenden, würde das Erwachen kommen.
Dies geschah im Jahre 146 v. Chr., als der Römer Scipio Aemilianus Karthago zerstörte.
***
In seiner schwarzen Citroën-Limousine fuhr Professor Zamorra die Landstraße entlang, die sich längs der Loire nordwärts schlängelte.
Es war ein herrlicher Frühlingstag. Eine strahlende Sonne stand am wolkenlosen blauen Himmel und schickte ihre wärmenden Strahlen zur Erde. Überall grünte und blühte es. Der Professor genoß es, durch diese Landschaft des Friedens zu fahren, die ihm wie schon so oft als eine Oase in einer von harten Stürmen umtobten Welt erschien.
Noch mehr hätte er es allerdings genossen, wenn Nicole bei ihm gewesen wäre. Nicole Duval, das grazile, kapriziöse Mädchen, das längst mehr für ihn geworden war als eine Sekretärin. Normalerweise begleitete sie ihn auf allen seinen Reisen, gleichgültig ob diese nur bis in die nächste Stadt oder in ein fernes Land in Asien oder Amerika führten.
Heute jedoch hatte Nicole nicht mit ihm fahren können. Sie war von einer schweren Erkältung befallen worden, die sie gezwungen hatte, auf dem heimischen Château de Montagne zurückzubleiben. Zähneknirschend, aber doch einsichtig hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt.
Der Professor befand sich auf dem Weg nach Paris. Dort stand eine Besprechung mit seinem Verleger auf dem Programm, der sein neuestes Buch über Parapsychologie veröffentlichen würde. Auf das Werk warteten die Fachleute in aller Welt bereits mit gespannter Aufmerksamkeit. Mehr als einmal schon hatten sich Zamorras Bücher als Meilensteine erwiesen, die völlig neue Wege und Erkenntnisse aufzeigten.
In zwei Tagen würde er wieder auf dem Schloß zurück sein.
Auf der Landstraße herrschte nur geringer Verkehr. Als der Professor aus einer Kurve kam, sah er den mehrere hundert Meter weiter auf der Grasnarbe am Straßenrand haltenden Mittelklassewagen sofort. Zwei
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