0085 - Tigerfrauen greifen an!
wuchtete vor.
Er streckte seinen gewaltigen Körper, flog noch in derselben Sekunde auf die Wand zu und durchbrach sie.
Wir hörten das Splittern einer Scheibe. Scherben prasselten sturzregenartig zu Boden, dann war er verschwunden.
Für eine mir endlos erscheinende Sekunde hatte ich Angst, die anderen Tropfen würden ebenfalls platzen, doch nichts in dieser Richtung geschah.
»Hinterher!« rief ich Suko zu. »Er darf nicht entkommen!«
Mein Partner war schon gestartet. Er rannte fast so geschmeidig wie die Raubkatze los und erreichte als erster die durchbrochene Wand, bevor ich ihm folgte.
Der Tiger hatte ein genügend großes Loch gerissen, so daß die Scherben uns nichts anhaben konnten, als wir durch die Öffnungen stießen.
Unter uns befand sich ein stockdunkler Hof.
Suko war schon unten.
Ich sprang ebenfalls.
Hart kam ich auf. Mit den Beinen federte ich den Aufprall ab, ließ mich fallen, rollte schulmäßig über die rechte Schulter und stand im nächsten Augenblick.
Gleichzeitig hörten Suko und ich das Fauchen. Aber es klang längst nicht mehr aggressiv, sondern ersterbend, müde und verloren. Der Tiger lag in seinen letzten Zügen.
Ich holte mit der linken Hand die Bleistiftlampe hervor, während ich in der rechten weiterhin die Beretta hielt.
Der kleine Strahl schnitt durch die Finsternis, wanderte, als ich die Lampe schwenkte und traf sein Ziel.
Dort lag er oder?
Nein, es war kein Tiger, der dort ausgebreitet neben der brüchigen Mauer des nächsten Hauses lag, sondern ein junges Mädchen…
Für den Bruchteil eines Atemzuges hatte ich das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Mein Herz übersprang einen Schlag. Mir schwindelte, und ich mußte mich mit Gewalt dazu zwingen, näher zu treten.
Suko stand schon neben dem Mädchen.
***
Ich bückte mich und leuchtete.
Die Kleine war tot. Ich schätzte sie auf höchstens zwanzig Jahre. Unsere beiden Kugeln hatten sie in die Brust getroffen. Das Mädchen hatte fahles blondes Haar, das wie ein helles Vlies ihren Kopf umrahmte. Die Augen zeigten noch den gelben Raubtierausdruck, die Lippen standen offen, die Arme waren ausgebreitet, die Beine gespreizt.
Ich wischte mir über die Stirn. »Himmel, das wollte ich nicht. Nein, ich…«
»Dich trifft keine Schuld«, sagte Suko. »Und auch mich nicht. Wir wußten nicht, wer dieser Tiger war. Für uns war er eine Bestie, die töten wollte.«
Ich nickte. Mit dem Taschenlampenstrahl leuchtete ich das Gesicht der Toten ab. Sie war sonst völlig nackt. Ihre Haut schimmerte wie helles Holz.
Langsam fuhr das Licht über das Kinn, die Wangen, die Augen und berührte die Stirn.
Jetzt erst sah ich das Mal.
Es war ein stilisiertes A. Bläulich in der Haut schimmernd, doch genau zu erkennen. Und ich wußte auch etwas mit dem Zeichen anzufangen. Schon einmal hatte ich damit zu tun gehabt, es war noch gar nicht so lange her.
»Hast du was, John?« fragte Suko.
»Sieh her.«
Mein Partner bückte sich.
»Das A«, flüsterte er. »Asmodina!«
»Genau!«
Asmodina ein Name, der bei mir Alpträume hervorrief. Eine Frau, vom Teufel erschaffen und dafür vorgesehen, die Welt in ein Chaos zu stürzen. Eine künstliche dämonische Figur, grausam in ihren Taten und böse bis ins Letzte hinein. Noch war sie nicht soweit, noch fehlte ihr ein Teil der Kräfte, doch sie hatte schon Helfer gefunden. Ein weiterer Name fiel mir ein.
Serena Kyle!
Vor meinem geistigen Auge tauchte ein Gesicht auf. Ein schönes Gesicht, umrahmt von pechschwarzen Haaren. Eine Frau wie ein Engel, eine schöne Larve, doch gemein, eiskalt und dem Bösen verfallen. Ich dachte daran, wie sie uns entkommen war. Sie hatte sich kurzerhand über eine Balkonbrüstung in die Tiefe gestürzt. Wir erwarteten, ihre Leiche auf dem Pflaster zu finden, doch sie war verschwunden. Serena Kyle hatte sich in Nichts aufgelöst. [1]
Magische Kräfte hatten ihr dabei zur Seite gestanden.
Ich wußte, daß wir wieder von ihr hören würden. Nun schien es soweit zu sein.
»Sie wird uns wieder Ärger bereiten«, meinte Suko. Er deutete dabei auf die Tote. »Das war erst der Beginn.«
Da gab ich meinem Freund recht. Ich erhob mich und schaute dorthin zurück, wo die Scheibe zersplittert war. Mittlerweile konnten wir auch Details erkennen, da sich unsere Augen den Lichtverhältnissen angepaßt hatten.
In der Tat befanden wir uns in einem engen Hof. Ein Geviert, umgrenzt von rückseitigen Hausmauern, die ebenso mies und brüchig waren wie die Gebäude
Weitere Kostenlose Bücher