009 - Der Folterknecht
sie allesamt unschuldig waren. Wie verblendet ich doch früher gewesen war! Ein verdächtiges Wort, ein vertraulicher Hinweis hatten genügt, um gegen jemanden Anklage zu erheben. Ich hatte gedacht, daß sich die Schuld oder Unschuld vor dem Tribunal der Inquisition herausstellen würde, doch jetzt erkannte ich, daß vor der Inquisition alle Angeklagten von vornherein schuldig waren. Aber diese Erkenntnis kam zu spät. Hätte ich mich gleich von Anfang an persönlich mit den Problemen meiner Opfer auseinandergesetzt, hätte ich versucht, ihnen menschlich näherzukommen, dann wäre den meisten von ihnen die Folter und der Tod erspart geblieben.
Es waren aber nicht alle unschuldig, die sich mit mir im Verlies befanden. Unter uns befand sich auch ein Dämon.
Im Morgengrauen des vierten Tages meiner Gefangenschaft machte ich eine grausige Entdeckung. Der Sohn des Hufschmieds war in Stücke gerissen worden. Der Vikar von Geching mußte sich übergeben. Einer, den sie gerädert hatten, schleppte sich unter großen Qualen auf mich zu.
»Er hat es getan!« schrie er, während er mich haßerfüllt anstarrte. »Erkennt ihr ihn denn nicht? Es ist dieser grausame Hexenjäger, der unsere ganze Stadt ausrotten will. Er wird uns alle, einen nach dem anderen …« Da verstummte er vor Schmerz und verlor das Bewußtsein.
Die anderen wichen erschrocken vor mir zurück, steckten die Köpfe zusammen und rasselten drohend mit den Ketten.
Ich kniete so nieder, daß ich keinem von ihnen den Rücken zukehrte, und untersuchte dann mit Widerwillen die Überreste des armen Hufschmiedsohnes.
»Das hat kein gewöhnlicher Mensch getan«, sagte ich schließlich.
»Es war das Werk des Teufels!« kreischte die Geistesgestörte und hob ihren eiternden Armstummel in die Höhe.
»Jawohl«, sagte ich. »Es muß ein Dämon gewesen sein. Man kann noch deutlich die Spuren eines Raubtiergebisses erkennen. Wir haben einen Werwolf unter uns.«
Der Vikar bekreuzigte sich und begann zu beten. Ein alter Mann, der während der Folter den Verstand verloren hatte, begann schrill zu lachen. Ein anderer versuchte die Wand hochzuklettern; er klammerte sich mit den Fingern in den Ritzen zwischen den Steinquadern fest, bis ihn die Kräfte verließen und er zu Boden stürzte.
»Furchtbar!« sagte jemand hinter mir.
Ich drehte mich um. Es war der dicke Kaufmann, der einen Tag zuvor ins Verlies geworfen worden war. Er hatte bisher mit niemandem gesprochen und die Fragen der anderen nicht beantwortet.
»Ein Werwolf, sagst du, hat das getan?« fragte er. »Glaubst du denn wirklich, daß es so ein Geschöpf gibt? Und wer von diesen erbärmlichen Kreaturen könnte eine solche Bestie sein? Vielleicht die Dirne mit der einen Hand?«
Ich besah ihn mir im fahlen Licht. In seinen Augen war ein seltsamer Glanz, der mich irgendwie an die Teufelsanbeter des Hexensabbats erinnerte. Ja, auf dem Eulenberg hatten die Teilnehmer den gleichen lüsternen, ekstatischen Blick gehabt. Aber noch etwas gefiel mir an dem dicken Kaufmann nicht: seine Stimme. Aus ihr sprach nicht Ekel, auch nicht Mitleid oder Furcht, was nur normal gewesen wäre; es klang eher nach Erregung, so als ergötze er sich an dem Anblick.
»Die Magd ist unschuldig«, sagte ich zurechtweisend und hatte eine schärfere Entgegnung auf der Zunge, doch ich sprach sie nicht aus, denn plötzlich kamen mir die Worte des Hufschmiedsohnes wieder in den Sinn, nämlich, daß die Dämonen sich vor Geistesgestörten fürchten würden.
»Komm her!« sagte ich zu der Magd, die ihr Gesicht hinter dem Armstumpf verbarg. »Komm her, Mädchen! Es soll dir nichts geschehen. Ich möchte dich nur etwas fragen.«
Ihre Blicke irrten unsicher zwischen mir und dem dicken Kaufmann hin und her. »Ich fürchte mich nicht«, sagte sie mit bebender Stimme und schleppte sich zu mir. »Ich fürchte weder die Folter noch das Feuer, denn Asmodi ist mein Schirmherr. Er wird in der Gestalt eines großen, schwarzen Vogels kommen und mit mir davonfliegen. Glaubt mir, Herr, so wird es sich zutragen.«
»Ja, ja, schon gut«, sagte ich beklommen.
Ich beobachtete den dicken Kaufmann, der abfällig auf die Magd herunterblickte. Je näher sie ihm kam, desto unruhiger wurde er jedoch. Die Nähe der Geistesgestörten schien ihm unbehaglicher zu sein als der Anblick der Leichenteile. Das bestärkte mich in meinem Verdacht gegen ihn. Plötzlich wich er einen Schritt zurück.
»Halt!« befahl ich, als er sich noch weiter entfernen wollte. »Wohin wollt
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