0091 - Götzen und gelbe Gangster
Chinesenviertels, das wird man wohl nie genau herausfinden können.«
»Das scheint ja eine sehr mächtige Figur zu sein«, sagte Phil ein wenig spöttisch.
»Ohne seine Genehmigung wird hier im Chinesenviertel noch nicht einmal eine Zeitung verkauft.«
»Auch niemand umgebracht?«, warf ich schnell ein.
Tschi Mang beugte sich vor.
»Ich weiß nicht, was Sie mit dieser Frage bezwecken, meine Herren, aber ich kann sie Ihnen beantworten. Nein, ohne Si Tschus ausdrückliche Genehmigung wird es der schlimmste chinesische Verbrecher nicht wagen, hier in seinem Herrschaftsbereich jemanden zu ermorden.«
»Das ist ja sehr interessant«, sagte Phil. »Sie sind vertrauenswürdig. Dr. Tschi Mang, deshalb will ich die Katze aus dem Sack lassen. Wir haben zuverlässige Informationen darüber erhalten, dass hier in den letzten Monaten sechs junge Mädchen auf eine bestialische Weise zu Tode gefoltert worden sind. Nach Ihrer Behauptung musste also dieser sagenhafte Tschi oder Tschu oder wie er nun heißt mindestens davon gewusst haben?«
Der greise Gelehrte erhob sich und verneigte sich tief in die Richtung, wo ein altarähnliches Gebilde aufgebaut war.
»Ich weiß«, sagte er, nachdem er sich wieder auf gerichtet hatte. »Mi Fu Cho, die Tochter des ewigen Himmels, ist eines jener ermordeten Mädchen. Sie war schön wie eine Lotusblüte im Morgentau, freundlich und mild in ihrem Wesen. Es fehlten noch vier Tage bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag, als die Waschni-Gläubigen in der Nacht des roten Mondes sie ihrem grausamen Gott opferten… Wir sahen uns erschrocken an. Hier gab es einen Menschen, der um diese ungeheuerlichen Dinge wusste. In monatelanger Arbeit war es dem Friscoer FBI nicht einmal gelungen, die Identität der Opfer festzustellen, und hier wusste ein Mann sogar von der ganzen Geschichte. Sie kannten das Mädchen persönlich, woyon die eben sprachen?«, fragte Phil.
Wir sahen gespannt hinauf zu dem Greis, dessen starres Antlitz noch immer in die Richtung des Altars blickte. Dr. Tschi Mang kreuzte die Arme vor der Brust, verneigte sich abermals und zündete dann langsam zwei Räucherstäbchen an. Er kniete vor dem goldenen Altar nieder, kreuzte die Arme wieder und senkte die Stirn. Der betörende Duft der Räucherstäbchen erfüllte bald den Raum. Wie aus weiter Ferne kam die Stimme des Greises: »Ich habe sehr spät geheiratet. Mit fünfzig Jahren. Meine Frau war zwanzig Jahre jünger und von unbeschreiblicher Güte. Sie war zart wie die schimmernden Flügel eines Falters. Nach zwei Jahren gebar sie mir eine Tochter, Mi Fu Cho. Die Mutter starb bei der Geburt. Die Tochter wurde mir von Waschni entrissen. Möge der Allwissende den Mördern verzeihen, ich kann es nicht.«
***
Es war abends gegen zehn Uhr, als wir in unser Hotel kamen. So lange hatten wir uns mit Dr. Tschi Mang unterhalten. Leider war nichts Wesentliches dabei herausgekommen. Seine Tochter war eines Nachmittags ausgegangen und nicht zurückgekommen. Das war alles.
Keine Anhaltspunkte, keine Fingerzeige, nichts.
Wir machten, unserer Rolle getreu, schnell noch vor dem Hotel eine Blitzlichtaufnahme der beleuchteten Straße, dann gingen wir in die Bar. Links von der Halle lag ein mittelgroßer Speisesaal und rechts davon eine kleine Bar mit Sitznischen, einer hufeisenförmigen Theke und in einer Ecke einem kleinen Podium, auf dem sich drei Männer damit abquälten, so etwas Ähnliches wie Stimmungsmusik zu machen.
»Schöner Betrieb«, murmelte Phil, als wir durch die Schwingtüren kamen.
Er hatte Recht. An der Bar und in den Nischen saßen ungefähr dreißig Männer und etwa halb so viel Frauen. Die meisten von ihnen waren Weiße, doch gab es auch ein paar Chinesen darunter. Alle machten den Eindruck, als ob sie sich nicht über zu wenig Dollar beklagen könnten. Die Altersgruppe zwischen vierzig und fünfzig herrschte vor. Man trug Abendkleidung, als dunkle oder gar schwarze Anzüge, die Damen lange Kleider mit mehr oder minder großen Ausschnitten. Irgendwie kam mir der ganze Betrieb ein bisschen hektisch und gezwungen vor.
Wir setzten uns in die einzige Nische, die noch frei war und bestellten uns Whisky. Eine chinesische Kellnerin brachte uns das Bestellte, und wir zahlten gleich.
»Neunzig Prozent der Anwesenden sind opiumsüchtig«, stellte Phil leise fest. »Und sie warten auf die Pfeife wie eben nur ein Süchtiger auf die nächste Droge warten kann. Deshalb die gereizte Stimmung.«
»Ja«, sagte ich leise. »Was mich am meisten
Weitere Kostenlose Bücher