0091 - Lucifers Bücher
unsichtbar Trennendes hatte zeitlebens zwischen ihnen gestanden.
Domdonar hatte es nie herausfinden können, was es eigentlich war.
»Darum bist du gekommen, Domdonar? Du bist nicht gekommen, um mir zu sagen, daß er dir überlegen ist? Daß ich dir helfen soll?«
Er blickte sich suchend um, fand einen Platz, wo er sich niederlassen konnte, rückte das Fell zurecht und ließ sich auf einem Schemel nieder.
Einer hatte die Anwesenheit des anderen vergessen.
Ein jeder wartete auf die Ankunft des Mannes aus Florenz.
Sie waren ein seltsames Gespann - Mutter und Sohn.
Tief im Hintergrund der kostbar ausgestatteten Grotte flackerte ein kleines Feuer. Es kam aus dem Felsboden. Es brachte den Schwefel- und Phosphorgeruch heran. Es brachte aber auch das Wasser in einem rußgeschwärzten, schmiedeeisernen Kessel zum Sieden, der über dem Feuer an einem Dreibein hing.
Auf dieses Erdenfeuer ging Sibylle zu, als sei sie in Trance versunken.
Sie ging wie eine Nachtwandlerin.
Sie hörte den Hufschlag nicht, der draußen unmerklich lauter wurde. Aber Domdonar hörte ihn. Er erhob sich und trat nach draußen in die Nacht. Mit der Grotte der wahrhaftigen Bücher im Rücken blieb er stehen und wartete.
Er fühlte, wer kam.
Die Mächte der ewigen und dämonischen Finsternis hatten es ihm gesagt.
Der Mann kam, der ihn gezwungen hatte, Florenz fluchtartig zu verlassen.
***
Bill Fleming mit seinen weit geöffneten Augen brachte nicht einmal ein Blinzeln zustande, als eine Nachtschwester eintrat und das Licht angeschaltet hatte. Nach wie vor konnte er kein Zeichen geben, alles zu sehen, zu hören und zu verstehen - und auch zu fühlen.
Sie beugte sich über ihn, fühlte seinen Puls, und er hörte sie murmeln: »Zustand unverändert. So was habe ich noch nie erlebt…«
Und der Naturwissenschaftler in seiner ganzen Ohnmacht und Hilflosigkeit sah sie wieder von seinem Bett zur Seite treten und hörte sie das Zimmer verlassen. Als die Dunkelheit wieder hereinbrach, übermannte ihn der maßlose Zorn, aber der war nicht stark genug, um die unsichtbaren Fesseln der schwarzen Magie zu sprengen.
Er, Bill Fleming, war und blieb ein Nichts im »Manicomio provinciale«.
In der geschlossenen Abteilung.
***
In der »Psichiatria San Agnese« verzweifelte Nicole Duval.
Nicht allein, daß sie angeschnallt auf dem Bett lag, zusammen mit drei ewig lallenden Geisteskranken das Zimmer teilen mußte, sondern daß es bisher Zamorra nicht gelungen war, sie aufzufinden. Er, der doch so oft schier Unmögliches fertiggebracht hatte.
Und warum hämmerte hinter ihrer Stirn ein Wort, daß sie nicht begriff: Domdonar…! Und immer wieder dieses eine Wort, dabei sagte ihr irgend etwas, daß ihr dieses Wort wohlbekannt sei.
Domdonar…?
Zamorra, warum kommst du nicht und holst mich hier heraus? Warum bloß nicht?
Domdonar…
Aber die unsichtbaren Fesseln der ewigen Finsternis ließen ihren Körper und einen Teil ihres Geistes nicht los.
Domdonar…
***
Sextus hieß der Mann, der die kleine Reitergruppe der Mater-Domina kommandierte.
Zamorra hatte schnell herausgefunden, daß dieser Römer über mehr Wissen verfügte als alle anderen Männer.
»Ja, Herr, zwei griechische Sklaven haben mir Lesen und Schreiben beigebracht und immer wieder von den Göttern Hellas' und des großen Imperiums erzählt. Aber wer diese Luciferen sind, von denen man zu sprechen beginnt, das weiß ich auch nicht.«
Und er hatte vergessen, Mater-Domina deswegen zu befragen.
Lucifer gleich Lichtbringer. Aber Lucifer war in der Hölle gelandet. Behauptete man, und Zamorra zweifelte daran nicht. Darum klang ihm der Name Luciferen so schlecht in den Ohren.
»Wer ist Domdonar, Sextus?«
Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort. »Mater-Domina sagt immer, er sei ein böser Zauberer, und ich glaube es auch. Aber warum das Hohe Gericht noch nie versucht hat, ihn wegen Zauberei vor Anklage zu stellen, versteht kein Mensch. Manche sagen, die Seherin Sibylle schütze ihn. Es gibt sogar eine Handvoll Menschen, die wissen wollen, daß Domdonar der Sohn der geweihten Seherin ist.«
Das Thema Luciferen konnte Zamorra vorerst ruhen lassen. Spekulationen brachten ihn in solchen Angelegenheiten nie weiter.
Er klopfte Sextus, der neben ihm ritt, auf die Schulter. »Du weißt, wo Domdonar wohnt?«
»Aber ja, Herr. Er hat ein Haus mitten in Cumae, und er hat ein zweites, größeres am Rande der Stadt. Willst du nun nicht mehr zur Grotte der wahrhaftigen Bücher, sondern nach
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