0096 - Die Seelenfänger
tauschte mit jedem im Kreis eine Art Bruderkuß. Jeder, der es hinter sich gebracht hatte, schien erleichtert und widmete sich um so heftiger der Höllenzeremonie.
Bis der Verrückte Angus Mavick erreichte.
Er fuhr bei der ersten Berührung zurück, als habe er eine Starkstromleitung berührt. Er schrie wie am Spieß. Er kippte nach hinten um. Fast wäre er in das Knochenfeuer gestürzt. Er wand sich am Boden. Seine Glieder zuckten. Er schrie gellend.
Um Angus Mavick aber entstand ein Vakuum.
Wie ein eingerammter Holzpfahl verharrte der Unglückliche an seinem Platz. Willenlos. Verloren.
Mit einem schrillen Schrei richtete sich die Katze auf, Vertraute Demdikes, der alten Hexe, und setzte mit einem gewaltigen Sprung über. Er landete sicher auf Mavicks Schulter. Sein Schweif zuckte hin und her. Als das Ende Mavick am Hals berührte, schrie der Mann auf. Augenblicklich war ein Wundmal entstanden. Eine Art höllisches Stigma. In Form eines auf den Kopf gestellten Kruzifixes.
Dann verschwand die Katze. Sie sprang in die Luft und löste sich auf. Kaum war das Vieh verschwunden, da breitete sich in der Scheune eine Eiseskälte aus. Lähmend fuhr sie jedem in die Knochen.
Selbst Zamorra und Nicole, die außerhalb des magischen Kreises ausharrten, spürten den Eishauch.
»Unwürdiger!« gellte die Vettel.
Angus Mavick sank in die Knie.
Er streckte flehentlich die Hände aus.
Mit allergrößter Anstrengung würgte er ein einziges Wort heraus: »Miriam!« Dann befiel eine Art Krampf seine Zunge. Sie hing aus seinem offenen Mund.
Mit einem einzigen hinkenden Schritt erreichte die Zeremonienmeisterin den Todgeweihten. In rasender Schnelligkeit spickte sie seine Zunge mit dreizehn silbernen Nadeln. Dabei floß kein Tropfen Blut. Die Zunge verfärbte sich nur. Sie wurde erst bläulich. Dann schwarz und sah aus wie verdorrt.
Angus Mavick hatte sich nicht gewehrt. Unbeweglich kniete er am Boden, zwischen den Kerzen aus Leichenfett.
Nur seine Augen befanden sich in schrecklicher Bewegung. Er rollte damit, als halte er Ausschau nach Hilfe.
Niemals zuvor hatte Zamorra soviel Entsetzen und Hilflosigkeit auf einem menschlichen Antlitz wahrgenommen.
Langsam kämpfte sich Zamorra frei von dem unseligen Fluch und dem höllischen Bann, unter dem auch er gestanden hatte. Sein Bewußtsein erwachte. Entschlossen hob er den Arm. Langte zu seinem wunderbaren Amulett, das ihm so oft in auswegloser Situation gute Dienste geleistet und ihm das Leben gerettet hatte. Ihm und anderen Unschuldigen.
Es wurde höchste Zeit.
Eine der schwarzen stinkenden Kerzen, die von Anfang an ausgesehen hatten wie ein aufrecht gestellter Henkersstrick, machte sich selbständig. Sie wuchs und wuchs wie eine Schlingpflanze. Rankte sich dem Delinquenten entgegen. Legte sich um seinen Körper und umklammerte würgend seinen mageren faltigen Hals.
Wobei Mavick sich nicht wehrte. Er protestierte nicht gegen diese Behandlung. Er ließ alles willenlos mit sich geschehen.
Langsam näherte sich Zamorra dem magischen Kreis.
Natürlich wurden die anderen aufmerksam. Sie schauten ihn an. Augen funkelten in den Sehschlitzen der Bocksmasken. Auch der Besessene hatte sich wieder erholt und kostümiert.
Der einzige, der sich im inneren Kreis aufhielt, dabei keine Maske tragend, war Angus Mavick. Und der hatte ohnehin keine Kraft mehr. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen. Er war tot gewesen, noch ehe diese schwarze Kerze aus Leichenfett die Seele aus seinem Körper preßte.
Zamorra wurde von einem höhnischen Gelächter empfangen. Die Teufelsanbeter waren sich ihrer Sache sicher. Kein Unberufener konnte diesen Kreis betreten. Der Fürst der Finsternis würde ihn zerschmettern. Satan selbst würde ihn mit Blitz und Schwefel überschütten und atomisieren.
Selbst der Professor spürte die Ausstrahlung der magischen Linien. Jeder Schritt näher kostete ihn ungeheure Anstrengung.
Langsam hob er das Amulett.
Gespannt beobachteten ihn seine Widersacher.
Ein merkwürdiges, bläuliches Leuchten umgab den Reif, der wie ein Schlagring an der ausgestreckten Hand Zamorras wirkte.
Und wie durch ein Wunder wichen die Linien nicht nur zurück, beulten aus, sondern verschwanden auch wie weggewischte Kreidestriche auf einer Schultafel.
Im Innenkreis aber erhob sich Heulen und Zähneklappern. Ohnmächtige Wut schlug dem Professor entgegen.
Unbeirrt setzte Zamorra seinen Weg fort.
Hoch aufgerichtet schritt er zum Pult und berührte mit dem Wunderamulett das Buch der
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