0096 - Die Seelenfänger
schlagen konnte.
Beherzt riß ihm der Professor die Maske ab.
Zum Vorschein kam das pausbäckige Gesicht eines Mannes von etwa vierzig Jahren. Er hatte einen gesunden roten Teint und einen Stiernacken.
Zamorra, der über ein ausgezeichnetes Personengedächtnis verfügte, erinnerte sich. Der Kerl hatte nahe der Tür in der Schankstube gestanden und seinem Gespräch mit Angus Mavick gelauscht. Dabei hatte ein ständiges hochmütiges und wissendes Lächeln auf diesem feisten Gesicht gelegen.
»Was machen wir mit ihm?« fragte Nicole ängstlich.
Zamorra antwortete nicht. Er handelte. Er verpaßte dem Burschen einen Knebel, fesselte ihn an Händen und Füßen und zerrte ihn in ein Gebüsch. Dort band er ihn an eine Pflugschar, die still vor sich hinrostete. Das schwere Eisengestell mochte den Kerl an eigenmächtigen Ausflügen hindern, sobald er aus seiner Ohnmacht erwachte.
Zamorra winkte seiner Sekretärin. Sie setzten ihren Weg fort. Leises Stimmengemurmel wies ihnen die Richtung. Es kam aus einer baufälligen Scheune am Ortsrand, in unmittelbarer Nähe des Friedhofes von Daunton.
Feuchte Grabsteine ragten aus lehmigem rostbraunen Boden. Unkraut wucherte auf Gräbern, die niemand mehr pflegte. Dankbarkeit und Pietät schienen den Teufelsanbetern von Daunton Fremdworte. Sie scherten sich keinen Deut um die Verstorbenen und deren Seelenheil. Vielleicht zu Recht. Denn wahrscheinlich hatten bereits ihre Altvorderen im Banne des Satanskultes gestanden und Luzifer hatte sie sich geholt.
Wer immer die Grabsteine hergestellt hatte — der Steinmetz konnte nicht aus Daunton stammen. Denn ursprünglich hatte er die Kreuze in herkömmlicher Weise angebracht. Jetzt standen sie alle köpf. Und von geweihter Erde zu sprechen, mußte Blasphemie bedeuten.
»Ich möchte wetten, daß sie ihre Toten in der Bauchlage bestatten«, flüsterte Professor Zamorra. »Das ist ihr Brauch.«
»Scheußlich. Da bringen mich keine zehn Pferde hin«, gab Nicole schaudernd zurück.
»Es wäre aber gut, wenn wir uns über den Friedhof anschleichen könnten. Da gibt es ausgezeichnete Deckung. Die Umfassungsmauer ist nur hüfthoch«, gab der Professor zu bedenken.
»Ich habe Angst. Diese Toten genießen nicht die ewige Ruhe«, hauchte seine Sekretärin.
»Sicher nicht. Andererseits können sie sich aus eigener Kraft niemals erheben. Es sei denn, sie werden von einem Unwissenden umgedreht und landen auf dem Rücken. Aber davor werden wir uns natürlich hüten.«
Nur zögernd folgte Nicole Zamorra.
Sie folgten Kieswegen, die wie ein Netz bleicher Adern durch das Grün der verwahrlosten Anlage liefen.
Tatsächlich bedeutete die Mauer aus Feldsteinen kein ernstzunehmendes Hindernis. Das Stimmengewirr in der Scheune wurde deutlicher.
Entsetzt blieb Nicole stehen.
»Sie meinen uns«, entsetzte sie sich. »Sie sprechen den Fluch…«
***
Durch einen Spalt in der Bretterwand schaute Zamorra in das Innere der Scheune. Die geheime Zusammenkunft näherte sich ihrem Höhepunkt. Mehr als ein Dutzend Vermummter bildeten einen Kreis. In der Mitte, in einer Vertiefung des gestampften Lehmbodens, brannte ein Feuer. Knisternd fraßen sich Flammen durch einen Haufen bleicher Knochen, die als Feuermaterial dienten.
Offenbar eine Frau umrundete das Feuerloch. Zwar trug sie ebenfalls eine Bocksmaske, dazu diesen weiten wallenden weißen Umhang, aber Zamorra zog seine Schlüsse aus den altmodischen hochhackigen Schnürstiefeln, in denen ihre Füße steckten.
Die Hexe streute irgendwelche scheußlichen Ingrédienzien in das Feuer, das aufflackerte. Ein entsetzlicher, berauschender Gestank verbreitete sich augenblicklich.
Dann zogen die klauenartigen Hände des alten Weibes zwei Wachspuppen hervor. Die weißen Gebilde waren geformt wie Mann und Frau.
Zamorra hielt die Luft an.
Er erkannte sich selbst und Nicole Duval. Ein Stück Stoff an jeder der beiden Statuen stammte aus dem Besitz der Fremden, deren Tod beschworen werden sollte.
Schon begann die Maskierte mit einem leisen Singsang.
»Geformt wie sie sind diese Puppen, an ihrer Stelle töt’ ich sie. Scharfe Nadeln stech’ ich ihnen, in die Augen, Herz und Knie. Blendet sie und lahmt sie schnell. Niemand rührt sich von der Stell’!«
Bei diesen Worten zückte sie lange glitzernde Stahlnadeln und praktizierte sie in die Wachspuppen an den beschriebenen Stellen.
Jedesmal jubelte und triumphierte der Chor in satanischer Freude.
Zamorra biß die Zähne zusammen. Tatsächlich verspürte er bei
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