0096 - Die Seelenfänger
wirkte. Das verriet der Körperbau, das Benehmen und jede seiner Bewegungen. Auf einem muskulösen Hals aber saß ein Kopf mit fliehender Stirn und einem Greisengesicht. Die Haut, war schrumpelig. Tiefe Falten auf der Stirn rührten nicht gerade von angestrengter Geistesarbeit.
Der Hütejunge, der barfuß ging, war schwer geistesgestört.
Er unterbrach sein Spiel und lächelte verlegen, als Zamorra in seinem Gesichtskreis auftauchte, sagte aber kein Wort.
Der Professor ging die Sache behutsam an.
Er fragte, wieviel Ziegen zu der Herde gehörten.
Der Bursche zuckte nur die Schulter und grinste wieder.
Wie Zamorra auch an das Problem herangging: klare Auskünfte waren nicht zu erwarten. Der Junge verriet seinen Namen: Elder Pickett. Eltern hatte er keine mehr. Er wohnte im Dorf. Wußte aber die Anschrift nicht. Geschweige denn konnte er den Weg dorthin beschreiben.
Immerhin tat ihm soviel Anteilnahme wohl. Er faßte Vertrauen. In seinem Gesicht arbeitete es. Wenn er gekonnt hätte, wäre so etwas wie ein Gespräch zustandegekommen. Aber der dumpfe Geist versagte ihm die Gefolgschaft.
Schließlich überreichte er spontan und zusammenhanglos dem Professor seine selbstgeschnitzte Flöte.
Zamorra nahm sie und spielte darauf. Ein lustiges serbisches Volkslied.
Elder klatschte begeistert in die Hände. Sein Ehrgeiz erwachte. Er schnappte sich das Instrument und legte los. Aber es wurde wieder die gleiche Melodie, die Zamorra bereits gehört hatte. Elders Repertoire war nicht allzu reichhaltig.
Aber die eine Melodie brachte er hervorragend. Es war, als kompensiere er mit ihr seine Unfähigkeit, sich logisch und gezielt zu artikulieren.
Auf der Wiese entspann sich ein sehr einseitiger Wettbewerb.
Der Hirte, der einen speckigen roten Pullover trug und blaue Drillichhosen, genoß die ungewohnte menschliche Gesellschaft.
Er forderte ungestüm immer neue Proben von Zamorras Kunst.
Elder, untersetzt und etwa mittelgroß, hatte weißblondes Haar, das sehr kurz gehalten wurde.
Einmal machte er den linken Arm frei und zeigte ein Muttermal. Sein Gesicht verzog sich schmerzlich, als wollte er andeuten, welche Pein damit verbunden gewesen war.
Zamorra begriff.
Es ging das Gerücht, daß der Teufel alle, die mit ihm Umgang pflegten, gewissermaßen kennzeichnete. Früher hätte ein solches Mal genügt, um den unglücklichen Träger in den Kellern der Inquisition verschwinden zu lassen und ihm den Hexenprozeß zu machen.
»Wo hast du das her?« forschte Zamorra.
Elder schnitt eine ängstliche Grimasse und legte den plumpen Finger auf den Mund. Er schaute sich ängstlich um. Dann machte er eine fahrige Geste, die wohl den Ort des Geschehens anzeigen sollte, aber nicht brauchbarer war als die Handbewegung, mit der die schöne Debbie dem Professor beschrieben hatte, wo der ominöse Turm des Schweigens stand.
Elder schaute Zamorra bedeutsam an.
Sein Atem ging flach und schnell. Hinter seiner niedrigen Stirn jagten sich die Gedanken, unbrauchbar und völlig zusammenhanglos. Das Wissen um unaussprechliche Riten, unsagbare Qualen und ruchlose Opfer standen in dem groben Gesicht, das keiner Verstellung fähig war. Offen wie ein aufgeklapptes Buch wirkte dieser Spiegel einer verwirrten Seele.
Wie ein Verschwörer winkte Elder seinem Zuhörer.
Er lief schnell voraus, so daß Zamorra Mühe hatte, Schritt zu halten.
Unterwegs begegneten sie dem struppigen Schutzbefohlenen des Hirten. Die Herde bestand aus einer Vielzahl von Böcken und nur wenigen weiblichen Tieren, die allein die Milch liefern konnten, die das Halten von Ziegen rentabel machte. Die männlichen Tiere waren groß und stark. Auffallend war ein Exemplar mit seidigem schwarzem Fell und gewaltigen Hörnern.
Offenbar handelte es sich um die Lieferanten immer neuer Bocksmasken.
Ekler tauchte in einem Busch imter, wühlte sich bis zum Gürtel in den dornigen Strauch. Er scharrte mit den Händen welkes Laub beiseite und grub wie ein Hund nach einem versteckten Knochen. Als er sich auf dem Bauch liegend zurückschob, vorsichtig, um nicht schmerzhafte Bekanntschaft mit den fingerlangen Dornen zu machen, hielt er ein zerfleddertes, durch Feuchtigkeit fast zerstörtes Tagebuch in trauensvoll Zamorras Hände.
Er legte wieder den Finger auf den Mund und grinste mit Verschwörermiene. Dann legte er das Notizbuch vertrauensvoll in Zamorras Hände.
»Für mich?« fragte der Professor gerührt. Noch hatte er die Bedeutung dieses Fundes nicht erkannt. Er wollte Elder nur nicht
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