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0096 - Die Seelenfänger

0096 - Die Seelenfänger

Titel: 0096 - Die Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
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schrille Stimme.
    Erschrocken fuhr das Mädchen herum.
    Tatsächlich hatte das letzte Wort geklungen, als sollte es ›Teufelsbraten‹ oder etwas Ähnliches heißen.
    Als Zamorra sich langsam umdrehte, bemerkte er eine fette alte Schlampe mit einer Whiskynase, die fatal an eine Verkehrsampel erinnerte. Auf der Spitze saß wie eine Sprengladung eine mächtige rissige Warze. Die Zähne waren erstaunlich schwarz und lückenhaft. Die Augen — grün wie bei Debbie — strahlten ein erschreckendes Maß an Hinterlist und Tücke aus. Unter rotem Kopftuch lugten wirre graue Strähnen hervor.
    Die Frau sah aus wie eine der Hexen aus den Geschichten seiner Kinderzeit, als Zamorra sich noch für derlei Dinge interessiert hatte, ohne es wissenschaftlich genau anzugehen.
    »Ihre Tochter wollte mir nur…« versuchte Zamorra zu erklären.
    »Nichts da! Typen wie Sie kenne ich zur Genüge. Es reicht, daß das ganze Dorf hinter meiner Debbie her ist. Da brauchen Sie nicht auch noch aufzukreuzen. Sie sollten sich was schämen, Sie alter Gockel.«
    Das Fenster wurde zugeschmettert.
    Debbie lief gehorsam ins Haus. Gerade noch, daß sie sich unter der Tür umdrehte und meinte: »Vielleicht klappt es nächstes Mal, Sir.« Dann war die kleine Fee verschwunden.
    Zamorra schüttelte den Kopf.
    War es möglich, daß jemand so unberührt blieb von dem, was im Dorfe nachts vor sich ging? Auch die Mutter hatte zwar heftig, aber keineswegs boshaft reagiert. Sie hatte sich kaum gewundert, daß ein Fremder sich in Daunton aufhielt. Davon wenigstens mußte sie gehört haben. Kümmerte sie sich um den Rest nicht? Gab es Einwohner, die gar nicht an nächtlichen Treffs in Scheunen teilnahmen?
    Wenn ja, war das ein Punkt, wo man ansetzen konnte. Man mußte die Spreu vom Weizen trennen. Und mit den wenigen Gutwilligen Zusammenarbeiten, um Daunton von dem Fluch, zu befreien, der auf ihm lastete.
    Zamorras Zuversicht erhöhte sich beträchtlich. Schon spielte er mit dem Gedanken, nach und nach in jedes Haus einzudringen, die Bewohner zu testen, wie sie sich verhielten und sie dann entweder unter der Rubrik ›Freund‹ oder ›Feind‹ abzulegen.
    Er verwarf den Einfall augenblicklich. Es war unmöglich, in das Haus eines Briten einzudringen, auch, wenn es sich nur um einen Schotten handelte. Diese Leute betrachteten ihr Haus als ihre Burg. Darin verschanzten sie sich, schirmten sich ab gegen das Unerwünschte und Fremde. Das war eine Lebensanschauung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. Das wollte einberechnet sein.
    Zamorra meinte also, er sei weiter auf Zufallsbekanntschaften angewiesen wie die mit Debbie. Keine leichte Aufgabe, unter diesen Umständen Kontakte anzuknüpfen. »My home is my castle«. Alle hier in Daunton schienen darauf eingeschworen zu sein.
    Bis auf den, der da auf seiner Hirtenflöte blies.
    Zamorra hatte den Ort verlassen und den jenseitigen Rand Dauntons erreicht. Er schaute sich gründlich um, immer in der Hoffnung, doch noch eine Spitze des Turmes zu finden, der ihn so beschäftigte. Aber er hatte kein Glück. Denn es handelte sich nicht um das Bauwerk eines Raubritters, der natürlich eine strategisch beherrschende überragende Stelle vorgezogen hätte, sondern um den Versammlungsort eines Satansordens. Da verbot sich ein zur Schau Stellen von selbst.
    Plötzlich hörte Zamorra vor sich, in einem dichten Kusselgelände, die Zauberklänge der Hirtenflöte. Natürlich fiel ihm als gebildetem Mann das eine oder andere Beispiel aus, der Antike ein. Auch nahm er sich vor, entsprechend behutsam vorzugehen. Aber darum kümmern mußte er sich doch. Schließlich suchte er Berührungspunkte mit den Bewohnern von Daunton. Dabei war ihm jeder Anlaß recht, Kontakte anzuknüpfen.
    Langsam kämpfte sich Zamorra durch das Gestrüpp…
    ***
    Auf einem sanft abfallenden Hang, inmitten einer ausgedehnten Grasfläche hockte im Schatten einer Birke ein Mann von einem unbestimmbaren Alter. Er hatte sich eine Flöte aus einem Weidenast geschnitzt und blies mit erstaunlicher Fingerfertigkeit auf dem primitiven Instrument eine wohl selbstverfaßte Melodie, die Begabung und Musikalität verriet. Gleichzeitig aber Aufschluß gab über seine archaische, höchst komplizierte geistig-seelische Verfassung.
    Noch ehe Zamorra den Burschen richtig zu Gesicht bekam, hatte er bereits bestimmte Vorstellungen entwickelt, die er sofort bestätigt fand.
    Der Hirte, der eine große Ziegenherde beaufsichtigte, mochte etwas jünger sein als er

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