01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
der im Büro des Rektors auf straff gespannte Hosenböden niederging, und die Stimmen der meisten Lehrer nachahmen; der Vogel konnte sogar exakt das Geräusch von vier mit Halbliterflaschen gefüllten Milchkästenimitieren, die auf eine Resopalplatte geknallt wurden, ein Geräusch, das er jeden Morgen bei Pausenbeginn hörte. So unglaublich es klingen mag, ich schwöre, es ist nicht eine Spur übertrieben. Erst kürzlich hörte ich eine Radiosendung mit dem Naturforscher Johnny Morris, in der er von seinem Hirtenstar erzählte, der exakt das Geräusch von drei vor der Haustür abgestellten Milchflaschen nachahmen konnte. Die akustische Wiedergabe der Milchauslieferung ist fraglos eine weitverbreitete (wenn auch evolutionär verwirrende) Gabe des domestizierten Hirtenstars Westenglands, die nach eingehender wissenschaftlicher Erforschung ruft.
Zur Angus-Familie gehörten selbstverständlich auch Hunde. Es gab eine große Meute ständig kläffender Boston-Terrier, den Boxer Brutus, ein flauschiges, krakeelendes Etwas, das auf den Namen Caesar hörte, und etliche mehr. Sämtliche Tiere gehörten der alten Mrs. Angus, einer warmherzigen, fragilen Person, die in meiner Erinnerung untrennbar mit dem Bild der Königinmutter Ihrer Majestät Queen Elizabeth verbunden ist. Von ihr erfuhren mein Bruder und ich die Nachricht vom Tod unserer Stiefgroßmutter. Nie werde ich die gewählte Intonation ihrer Stimme vergessen, mit der sie damals zu uns sprach.
Die dritte Frau meines Großvaters war eine aus Wien stammende Jüdin, genau wie meine leibliche Großmutter, die ich nie gekannt habe. Sie war mit Stefan Zweig, Gustav Klimt, Arnold Schönberg und all den anderen großen Wiener Künstlern befreundet gewesen. Wenn ich sie besuchte, durfte ich ihre Schreibmaschine benutzen, was ich als das größte Glück auf Erden empfand. Seit meinem zehnten Lebensjahr kann ich flüssig tippen. Ihr Geburtsname war Grabscheidt, was im Englischen unglücklicherweise wie grab-shite ausgesprochen wird. Im Haus meiner Eltern steht immer noch ein riesiger Kabinenkoffer, auf den dieser wunderbare Name in großen weißen Lettern aufgemalt ist. Als mein Bruder und ich sie im Krankenhaus besucht hatten, hatte sie uns lächelnderklärt, wir brauchten vor den Schläuchen in ihrer Nase keine Angst zu haben.
Später, als wir zurück in Stouts Hill waren, bat Mrs. Angus uns zu sich.
»Ihr wißt, daß eure Stiefgroßmutter sehr krank war«, sagte sie, einem ihrer Hunde über das Fell streichend.
Mein Bruder und ich nickten.
»Leider habe ich soeben von eurer Mutter erfahren, sie sei verstorben.«
Ich weiß auch nicht, warum diese seltsame Intonation bei mir hängengeblieben ist. Wann immer ich an Tante Ciaire, wie wir sie nannten (obwohl ihr tatsächlicher Vorname Klara oder Kläre gewesen sein muß), denke, taucht in meiner Erinnerung der Satz auf, sie sei verstorben.
Während der Osterferien, für mich der Übergang zwischen Cawston und dem Ort, den ich mir immer nur als Rogers Schule vorstellen konnte, hatte ich das Stouts Hill School Magazine wieder und wieder von vorne bis hinten verschlungen. Es enthielt unter anderem eine Rubrik mit der Überschrift:
WILLKOMMENSBRIEFE
FÜR UNSERE NEUANFÄNGER
Ich habe das Heft vor mir liegen und gebe im folgenden einige Kostproben im Originalwortlaut wieder. Einige der Briefe kannte ich immer noch nahezu komplett auswendig.
TIM SANGSTER
Wir haben hier eine Art Loch, wo wir mit unseren Autos spielen.
JIMMY KING
Im Sommer spielen wir vor allem Cricket, Tennis und Schlagball oder gehen schwimmen. Im Winter wird Fußball und Rugby gespielt. Sonntags gucken wir meist Fernsehen.Um sechs Uhr müssen wir ins Bett. Man hat hier viel Freizeit und muß nicht nur lernen. Wer Lust hat, kann ein Stück Garten bekommen und darin Sachen anpflanzen. Und wenn man dem Segelclub beitritt, kann man auch segeln.
ANTHONY MACWHIRTER
Wenn man in Gruppe vier ist, kann man manchmal auf dem See rudern und im Sommer jeden Tag schwimmen, wenn es warm genug ist. Wenn man sonntags nicht rausgeht, kann man dreimal schwimmen.
EDMUND WILKINS
Es ist wirklich toll hier, weil man normalerweise auf dem Land niemanden zum Spielen hat, aber hier in Stouts Hill sind ganz viele Jungen. Im Sommer gehen wir schwimmen und rudern, und nach den Sportwettkämpfen haben wir immer einen halben Tag frei. Wer noch nicht so alt ist, kommt in die Anfängerklasse, wo man Pipi-Arbeit macht. Samstag haben wir lateinischen Spezialfußball gespielt, was sehr
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